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Demonstration Frauen Feminismus
"Still we rise" Foto: unsplash.com

„Die Frauenbewegung war nie mainstream“ – 100 Jahre Frauenwahlrecht

Dass auch Frauen Menschenrechte haben, ist bis heute nicht selbstverständlich. Was haben die politischen Kämpfe bewirkt und wo ist noch Luft nach oben? Unsere Autorin Emily (18) führte darüber ein Gespräch mit der Historikerin Dr. Kerstin Wolff.

Emily (18)

qrage: Frau Wolff, 100 Jahre Frauenwahlrecht. Heute klingt das selbstverständlich, dass Frauen wählen dürfen. Welche Hürden mussten Frauen überwinden, die Jahre, sogar Jahrhunderte für diese Gleichberechtigung kämpften?

Wollf: Die ideologische Hürde war wohl die schwierigste. Frauen mussten die Idee der Geschlechterdifferenz durchbrechen, also die Vorstellung, dass Frauen nicht im öffentlichen Raum agieren sollten. Das war damals noch tiefer in den Köpfen verankert.
Die größte strukturelle Schwierigkeit waren die verschiedenen Vereinsparagraphen im deutschen Reich. Durch diese war es Frauen unmöglich, sich politisch zu engagieren. Dass die Paragraphen 1908 fielen war ein entscheidender Schritt in der Geschichte der Frauenbewegung. Die Legitimation für politische Betätigung gilt als der Türöffner für 1918 und 1919.
Auch unter den Frauen gab es viele sogenannte Antifeministinnen. die als Gegner*innen des Frauenwahlrechts die typischen vier Argumente brachten: Frauen seien zu emotional, Frauen wollten das Wahlrecht nicht, Frauen kämpften nicht an der Front und nur Kämpfer hätten das Wahlrecht verdient. Das vierte Argument war, dass diese Idee der politischen Frau „nichts Deutsches“ sei, sondern eine Art eingeschleppter Virus aus anderen Ländern, der hier nicht reinpasse. Frauenrechtlerinnen hielten argumentativ dagegen.

qrage: Wie genau kann man sich diese Aueinandersetzungen Anfang des 20. Jahrhunderts vorstellen? Kongresse, Proteste, Hungerstreiks und Flugblätter?

Wolff: Unglaublich viele Reisen! Die Frauen nahmen Züge und bewegten sich von Ort zu Ort, von Veranstaltung zu Veranstaltung. Im Jahr 1865 wurde die Frauenbewegung in Leipzig gegründet und seither engagierten sich überall im Kaiserreich verschiedene Gruppen. Die jeweiligen Vorsitzenden vernetzten sich und so entstanden Einladungen zu Tagungen und Redebeiträge. Außerdem wurde viel geschrieben, nicht nur Flugblätter, sondern auch ausführliche Broschüren, die dann im ganzen Reich versandt und auch explizit von den lokalen Gruppen bestellt wurden. Manche Frauen organisierten auch Fahrten in Pferdekutschen, in denen sie dann mit Plakaten saßen und demonstrierten, oder sie sammelten Spenden auf der Straße.
Fast jeder größere Verein hatte eine eigene Zeitung oder Zeitschrift, was einen Austausch ermöglichte, denn damals gab es ja weder Twitter noch Hashtags.

qrage: Das hört sich alles recht aufwendig an.

Wolff: Aber auch nachhaltiger. Man musste sich bewusst entscheiden. Zum Beispiel, die Zeitung zu abonnieren, zu den Veranstaltungen zu gehen. Und es gab einen Austausch vor Ort. Ich finde, das Internet ist eine geniale Plattform, um Aktionen ins Rollen zu bringen, aber ohne den direkten Austausch geht es nicht und den gab es damals durch die zahlreichen Veranstaltungen.

Frauen müssen das schon selber machen

qrage: Welche Rolle spielten die Männer? Machten sich die Sympathisanten der Frauenbewegung zu unliebsamen Außenseitern?

Wolff: Es gab Männer in der Frauenbewegung, aber eher wenige. Die Unterstützer blieben im Hintergrund. Es gibt da eine schöne Anekdote. Louise Otto-Peters hatte ihren Schriftsteller-Kollegen Ludwig Eckhardt gefragt, ob er denn nicht die Eröffnungsrede der Frauenkonferenz halten könne. Der sagte ihr ab, mit dem Argument, sie könne doch nicht eine Konferenz im Interesse der Frauen von einem Mann eröffnen lassen. Die Frauen müssten schon selbst für ihr Interesse einstehen. Es gab im Übrigen auch Vereine, die explizit nur Frauen aufnahmen, aber das war nicht überall so.

qrage: Was unterschiedet gerade die deutsche Frauenrechtsbewegung von anderen, wie zum Beispiel den Suffragetten in England?

Wolff: Man müsste die Frage andersherum stellen. Die englischen Suffragetten waren die Ausnahme in der europäischen Frauenbewegung. Sie unterschieden sich in ihrer Radikalität von den anderen Bewegungen, deshalb fallen sie den meisten vermutlich auch zuerst ein. Aber unter den Engländerinnen waren die radikalen Suffragetten auch nur ein kleiner Teil, nämlich die Mitglieder der WSPU (Women’s Social and Political Union) um Emmeline Pankhurst, die Fensterscheiben einschmissen, sich verhaften ließen und in den Hungerstreik traten.
Im übrigen Europa und auch in Nordamerika setzte man auf Aufklärung und verwendete andere kreative Methoden. In Frankreich ließ sich zum Beispiel eine Frauenrechtlerin zur Wahl aufstellen, obwohl dies natürlich völlig aussichtslos war. Es war eine politische Aktion.

qrage: Hungerstreik und Gewaltszenen sucht man in der deutschen Frauenbewegung also vergebens?

Wolff: Es gibt keine Berichte von gewaltvollen Auseinandersetzungen im Deutschen Reich und die Frauen traten hierzulande auch nicht den Hungerstreik. Sie fanden friedliche Wege.

Manche Kämpfe dauern ewig

qrage: Warum brachten die Proteste erst im 20. Jahrhundert Ergebnisse? Denken wir beispielsweise an die Revolutionärin und Autorin Olympe de Gouges, die bereits 1791, während der französischen Revolution, „Die Rechte der Frau“ verfasst hatte.

Wolff: Ja, Olympe de Gouges wirft ja die Frage nach der Brüderlichkeit während der Französischen Revolution auf. Sie fragt: Wer ist gemeint? Ich denke, die Zeit war damals einfach noch nicht reif. In dieser Phase des Aufbruchs musste wohl erst einmal eine Brüderlichkeit unter allen männlichen Bürgern hergestellt werden. Es brauchte dann nochmal diese einhundert Jahre, um das Ganze geschlechterübergreifend zu betrachten, denn diese Gesellschaft war noch mit einem ganz klaren Bild von einer Ständeordnung groß geworden und unter diesem Aspekt war die historische Entwicklung „gar nicht so schlecht“.

qrage: Wo wären wir wohl heute als Gesellschaft ohne Frauen wie Clara Zetkin, Emmeline Pankhurst, Hedwig Dohm und Emily Davidson?

Wolff: Ich befürchte, wir würden immer noch kämpfen, nicht als Menschen zweiter Klasse angesehen zu werden. Die Mühlen mahlen langsam, sagt man so schön. Es ist auch eine große Kunst, innerhalb eines Lebens nicht zu frustriert zu werden, denn manche Kämpfe dauern scheinbar ewig.

Die Aufgaben der Zukunft

qrage: Meiner Generation wird gern politische Untätigkeit vorgehalten. Was können wir jungen Menschen tun, um den Geist der Frauenbewegung weiterzutragen?

Wolff: Geben Sie Ihrer Generation noch ein bisschen Zeit. Es gibt in jeder Generation Menschen, die sich engagieren und welche, die dies nicht tun. Es geht wohl auch darum, welche Methoden sich finden lassen, denn die Frauenbewegung, egal zu welcher Zeit in der Geschichte, war ja nie main stream. Jede fing oder fängt immer wieder von vorne an.

qrage: Deswegen sprechen wir auch von Wellen, wenn wir über feministische Bewegungen reden?

Wolff: Ich würde es eher als bewegtes Meer sehen. Es passiert so vieles parallel. Global und zeitlich. Mal sind dort die Wellen größer, mal ist es hier ruhiger.

qrage: Was sind Ihrer Meinung nach nun unsere größten Aufgaben?

Wolff: Da muss ich zum Beispiel an die Paragraphen zum Schwangerschaftsabbruch denken. Den Streit um die „Werbung“ finde ich lächerlich. Frauen sollten überall auf der Welt das Recht auf unbedingte körperliche Selbstbestimmung und Gewaltfreiheit haben. Auch die Prostitutionsfrage muss neu gedacht werden. Wenn ein Verbot der einzige Weg ist, die Machtstrukturen und die Abhängigkeit der Frauen zu durchbrechen, dann muss es sein.

qrage: Und die Frauenquote?

Wolff: Frauenquote? Ja. Es geht leider nicht ohne. Ich bin auch für Parität in allen politischen Gremien. Die Zeit dafür ist längst reif.

qrage: Frau Wolff, ich danke Ihnen für das ausführliche Interview!

Wolff: Sehr gerne!

Dr. Kerstin Wolff ist Leiterin der Forschungsabteilung im Archiv der deutschen Frauenbewegung in Kassel und hat zahlreiche Schriften zu ihrem Forschungsschwerpunkt verfasst und herausgegeben.

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Der Weg zum Wahlrecht für Frauen

Am 19. Januar 1919 durften Frauen bei der Wahl zur verfassungsgebenden Nationalversammlung das erste Mal in der deutschen Geschichte ihre Stimme abgeben. Bis das Recht auf Wahlbeteiligung der Frau Bestandteil der Verfassung werden sollte, war es noch ein weiter Weg.

Bereits 1848 erhoben Frauen wie Louise Dittmer ihre Stimme gegen das Patriachat. In den 1870ern fordert Hedwig Dohm unmissverständlich das Frauenwahlrecht in ihren Schriften. Im selben Jahrhundert, ab 1888 gründen sich entgegen des preußischen Vereinsgesetzes, das unter anderem Frauen von politischer Teilhabe und Vereinsgründung ausschließt, doch Vereine, die politische Partizipation fordern.
Doch die Frauen werden nicht gleich gehört.
So gründen 1902 Minna Cauer, Anita Augsburg und Lida Gustava Heinemann in Hamburg, wo das Vereinsgesetz liberaler war, mit dem „Deutschen Verein für Frauenstimmrecht“ den ersten Verbund, dessen einziges Ziel das Wahlrecht war.
Bis am 12. November 1918 der Rat der Volksbeauftragten, der nach dem endgültigen Sturz der Monarchie die Macht übernommen hatte, seine Reformen, welche unter anderem die Einführung des Frauenwahlrechts vorsahen, ankündigte, bedurfte es noch vieler Kongresse, lauten Forderungen und Protesten.

58 deutsche Frauenorganisation hatten sich, trotz ganz unterschiedlicher Vorstellungen, zusammengetan, um im Oktober 1918 dem Reichskanzler Max von Baden ihre Forderung vorzutragen. Mehrere tausend Menschen versammelten sich damals in Berlin und forderten das sofortige Frauenwahlrecht, das sie bald darauf endlich bekommen sollten.

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