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Mobbing wegen Adperger
Illustration: Katja Gendikova

Die Mauer um mich herum

Bis zur neunten Klasse wusste niemand, nicht einmal unsere Autorin selbst, dass sie am Asperger-Syndrom leidet. Gemobbt wurde sie deshalb trotzdem.

Melina (17)

Die Demütigungen, die Beleidigungen, die Schläge und das Treten begannen in der ersten Klasse. Dabei hatte ich nichts getan. Ich wollte nur nicht mit den anderen Kindern spielen. Lieber blieb ich bei den Hortner*innen. Nicht, weil ich die anderen Kinder nicht mochte, sondern einfach, weil ich mit ihnen nichts anfangen konnte. Sie sind herumgerannt, waren laut und haben zusammen gespielt. Das hat mich nicht interessiert, ich habe mich eher mit den Erzieher*innen unterhalten, weil ich lieber mit Erwachsenen Zeit verbringe als mit Gleichaltrigen.

Warum das so ist, dass ich mit meinen Mitschüler*innen nichts anfangen kann – und die mit mir auch nicht? Weil ich Asperger-Autistin bin.

Autismus ist eine Entwicklungsbesonderheit, die sich in einer ganzen Reihe von Symptomen äußert. Nicht alle Autist*innen zeigen alle Symptome, und durch die unzähligen Kombinationen an Symptomen ist jeder Autist extrem unterschiedlich. Entsprechend schwierig ist die Diagnose. Deshalb konnte ich in die Grundschule kommen, ohne dass jemand wusste, dass ich Autistin bin.

Weil ich ausschließlich logisch denke, kann ich Ironie nicht verstehen

Man kann sich Autismus so vorstellen, dass Verknüpfungen im Gehirn nicht so geschaltet sind wie bei anderen, scheinbar normalen Menschen. Dies äußert sich bei mir darin, dass ich Geräusche, das Licht und auch die Haptik von Gegenständen viel intensiver wahrnehme – und dadurch schnell überfordert bin. Ich habe auch Probleme Metaphern zu verstehen, kann nicht lange stillsitzen und ich pule an meinen Fingernägeln, wenn ich zu viele Reize verarbeiten muss. Dass ich Metaphern oder auch Ironie nicht verstehen kann, liegt daran, dass ich fast ausschließlich logisch denke und fast alles wörtlich nehme. Auch Gefühle anderer zu erkennen, ist für mich schwer, vor allem wenn die Gefühle komplex werden, denn dann laufen sie nicht nach einem logischen Muster ab und sind für mich schwer einzuordnen. Ein weiteres Symptom ist Empathielosigkeit: Es ist mir egal, wie es anderen Menschen geht oder was gerade in ihrem Leben passiert. Bei mir muss sich die Empathie erst entwickeln, ein Mensch muss mir extrem ans Herz wachsen – erst dann kann ich Mitgefühl für ihn entwickeln. Ich habe nur zwei Menschen, um die ich mir Sorgen mache und deren Wohlergehen mich wirklich interessiert: meine beste Freundin Amy und meine Mutter.

Mit solchen Symptomen bin ich aus der Reihe gefallen. Nicht nur den Erwachsenen fiel auf, dass ich anders bin, sondern auch meinen Mitschüler*innen – und sie mobbten mich. In der Grundschule verging kein Tag ohne Demütigung oder sogar körperliche Gewalt. Dass ich eine andere Denkweise habe, wirkte auf die anderen mal komisch, noch öfter abweisend und arrogant. Dass ich dafür nichts konnte, weil ich Autistin bin, wusste niemand. Ich nicht und auch die Kinder in der Grundschule nicht. Deshalb denke ich, sie konnten wahrscheinlich nicht einschätzen, was sie mir antaten.

Wie durch Gruppenzwang hatte es fast die ganze Klasse auf mich abgesehen

Anfangs war es nur ein Mitschüler, der mich beleidigte. Später hatte es durch eine Art Gruppenzwang fast die ganze Klasse auf mich abgesehen. Als sich meine Mutter bei meiner Klassenlehrerin beschwerte, sagte die der Klasse nur, dass sie das Mobbing bitte unterlassen sollen. Das hat nicht viel genutzt. In der dritten Klasse wurde es noch schlimmer, nun wurde ich auch verprügelt und angespuckt. Vor allem die Hofpausen waren die Hölle für mich, denn dort war ich nicht mit einem Lehrer in einem Raum, sondern draußen, wo niemand war, der hätte aufpassen können. Ich habe psychosomatische Bauchschmerzen entwickelt, die immer am Sonntagabend auftraten, wenn ich wusste, dass ich am nächsten Tag wieder in die Schule muss.

Zum Ende der vierten Klasse begann dann sogar meine Klassenlehrerin mich zu mobben. Sie gab mir die Schuld dafür, dass die anderen mich schlugen, und versprach anderen Mädchen eine gute Note, wenn sie ausnahmsweise mal nett zu mir wären. Als ich mit diesen Mädchen an einem Tisch saß, machten sie gespielt auf nett, aber ich wusste nicht, wie ich mich verhalten sollte. Anscheinend habe ich es falsch gemacht, denn die Mädchen beschwerten sich bei der Klassenlehrerin, und die sagte dann zu mir: „Tja, Melina, dann brauchst du dich ja nicht zu wundern, warum sie zu dir sind, wie sie sind.“ Ein anderer Lehrer sagte, ich solle mich nicht mehr beschweren, wenn mich jemand ärgert, weil sich das ja eh nicht mehr ändern würde.

Dass mein Autismus erst so spät diagnostiziert wurde, liegt auch daran, dass viele, vor allem Mädchen und Frauen, ihren Autismus sehr gut verstecken können. Wir lernen gesellschaftliche Rituale, zum Beispiel Reaktionen auf verschiedene Situationen oder Floskeln wie Hallo und Tschüss, auswendig. Ich habe mir durch das Fernsehen viele Verhaltensweisen beigebracht, die für andere Menschen selbstverständlich sind. Aus TV-Serien habe ich gelernt, wie man Menschen tröstet oder sich bedankt oder begrüßt. Immer wieder zitiere ich sogar Figuren aus Serien wörtlich, wenn es mir gut zu passen scheint.

Weil ich so hochfunktional bin, blieb mein Autismus lange unentdeckt

Weil ich so hochfunktional bin, dauerte es zur neunten Klasse, bis mein Autismus diagnostiziert werden konnte. Erst als ich durch das Mobbing Depressionen entwickelt habe, und meine Mutter für mich eine Therapeutin suchte, kam ich in eine Therapie. Ich hatte das Glück, dass meine Therapeutin auf Autismus spezialisiert ist. Anhand von Fragebögen und in der Gesprächstherapie konnte meine Therapeutin die Diagnose Asperger stellen.

Bei der anschließenden Therapie haben wir nicht versucht, den Autismus wegzutherapieren, denn das geht nicht. Stattdessen haben meine Therapeutin und ich zusammen Strategien entwickelt, mit denen ich leichter durchs Leben gehen kann und auch mit anderen Menschen besser klar komme. Das war gar nicht so einfach. Denn das Mobbing hatte dafür gesorgt, dass ich eine Mauer um mich herum errichtet habe, um niemanden mehr an mich heranzulassen. Denn wenn man niemanden an sich heranlässt, dann kann man auch nicht verletzt werden. Aber natürlich kann man so kein Vertrauen in andere Menschen fassen und droht zu vereinsamen.

Meine Lehrer*innen waren überfordert, oder haben mich sogar auch gemobbt

Wie ist die Schule mit dem Problem umgegangen? Meine Lehrer*innen waren maßlos überfordert, hatten erst gar kein Interesse mir zu helfen oder haben mich sogar auch gemobbt. Das Mobbing hat erst aufgehört, als ich die Grundschule nach der sechsten Klasse verlassen habe. In der Oberschule lief es besser, aber nicht weil die Menschen dort mehr Verständnis gezeigt oder die Schule sich auf mich eingestellt hätte, sondern weil ich mittlerweile gelernt hatte, wie man sich richtig verstellt, damit andere Menschen einen mögen. Dadurch habe ich Freunde und Freundinnen gefunden, die diese alternative Melina mochten, die ich erschaffen hatte. Aber diese Freundschaften waren für mich bedeutungslos. Erst als ich nach der zehnten Klasse die Schule erneut gewechselt habe, habe ich eine Freundin gefunden, die mich wirklich versteht und vor der ich mich nicht verstellen muss. Vor anderen Menschen verstelle ich mich nach wie vor, um nicht anzuecken.

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