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Foto: Aktion Courage

Du, ich, der Konsum und wir alle

Ich bin 17 und habe 35 Beauty-Artikel im Schrank. Muss das sein? Muss es nicht. Ein Plädoyer für eine neue Art des Denkens.

Anastasia (17)

Smartphones, Küchengeräte, Waschmaschinen, Kosmetik, Billigmöbel, Fast Fashion, Spielzeug, Schuhe, Feinkost, Dekorationsartikel, Alkohol, Fertiggerichte, Süßigkeiten. Dass wir alle weniger konsumieren sollten, ist kein Geheimnis mehr. Laut Marktforschungsdaten von 2020 hat eine junge Frau zwischen 20 und 30 Jahren im Schnitt 66 Kosmetikprodukte in ihrem Bad stehen. Sechsundsechzig.

Das sind also grob gesagt 66 Produkte, die mehr in Richtung Schminke und Hautpflege als in Richtung Shampoo oder Mundwasser gehen. Ich bin siebzehn 17 Jahre alt und habe mal nachgezählt: Bei mir sind es 35, ein Großteil davon ist Nagellack, Lidschatten und Lippenstift. Dabei trage ich sowas nur ungefähr einmal die Woche. Vielleicht verdoppelt sich das ja mit dem Alter noch, aber ehrlich gesagt sind mir auch 35 schon etwas unangenehm.

Auf der Jagd nach dem Konsum vergessen wir uns selbst

Auf der ununterbrochenen Jagd nach dem nächsten Objekt unserer Begierde vergessen wir uns selbst und vor allem: cui bono. Also wem das Ganze überhaupt etwas bringt und warum. In eine Zara- oder Karstadt-Filiale zu gehen, bedeutet in der Regel auch, am Eingang den eigenen Seelenfrieden und in der Garderobe die Freiheit abzugeben. Wir brauchen immer wieder Neues, immer wieder mehr, immer wieder Anderes, um uns vollkommen zu fühlen, uns frei zu entfalten. Dieser enorme Druck, der da auf uns allen lastet, dieser Druck, uns über Konsum zu definieren, zu identifizieren, zu spüren, schlägt dabei auch auf die Psyche.

Wer sich heutzutage ein neues Handy kauft, kauft sich meistens ein bis zwei Jahre später ein neues, weil die Akkus und Einzelteile nicht mehr eigenhändig ausgetauscht werden können, sondern zum Ersetzen extra ausgelötet werden müssen. Da lohnt sich neu kaufen gleich doppelt. Oft hat auch die (inzwischen glücklicherweise bekannte) geplante Obsoleszenz ihre Finger im Spiel. Beispiel gefällig? Dein Drucker geht zufälligerweise genau ein halbes Jahr, nachdem die Garantie abgelaufen ist, kaputt. Die Produkte, die unsere Wirtschaft herstellt, sollen in erster Linie gekauft werden – und erst in zweiter ihren Zweck erfüllen.

Warum wird produziert? Nur aus Jux und Dollerei?

Die Art und Weise, wie das Generieren von Profit in sich ein Bedürfnis geworden ist, das über dem tatsächlichen, sozusagen real existierenden Bedürfnis nach Bedürfniserfüllung steht, ist fast schon ironisch. Fortgesetzt wird das Ganze durch das Generieren immer neuer Bedürfnisse, durch Werbung, die uns sagt, was mit uns nicht stimmt, durch uns beeinflussende Influencer*innen, durch personalisierte Werbeanzeigen auf all unseren Geräten.

Für wen wird hier produziert? Für CEOs großer Technikfirmen? Für die Müllhalde? Für das Kapital und den Profit selbst? Einfach aus Jux und Dollerei? Schon merkwürdig, dass man erst im zweiten Schritt an die Konsument*innen denkt. Andererseits auch wieder völlig logisch.

Denn das Predigen des Konsums durch Werbung, Serien, Filme richtet sich gerade an junge und heranwachsende Menschen. Es gibt in der beliebten Serie „Stranger Things“ eine Szene, in der Eleven und Max, zwei Mädchen im frühen Teenageralter, zusammen shoppen gehen. Eleven geht es gerade nicht so gut und sie hat einen Großteil ihres bisherigen Lebens in einem Geheimlabor als Versuchskaninchen für paraphysikalische Kriegsführung gegen die Sowjets verbracht. Eleven ist dementsprechend noch völlig blind gegenüber den Freuden des ungehinderten Konsums in einer Shoppingmall. Das will Max nun ändern und schleppt sie mit in ein hippes Kleidergeschäft. Als Eleven sie fragt, woher sie denn wissen soll, was ihr eigener Stil ist und was sie denn kaufen soll, erwidert Max (sinngemäß auf Deutsch): „Du probierst einfach verschiedene Sachen an, bis du etwas findest, das sich nach … dir anfühlt.“ Dann sieht man die beiden fröhlich durch die Mall laufen und viele tolle Outfits anprobieren.

Brauchen wir den Konsum, um uns selbst zu fühlen?

So weit, so süß und relatable, oder? Na ja. Wieso braucht Eleven überhaupt neue Klamotten, um sich aufzuheitern? Und wieso, um sich mehr wie sie selbst zu fühlen? Ist das Auslagern unserer Identität auf Gegenstände, Konsumgüter, die wir nur durch den Markt erlangen können, nicht eher eine Entfremdung von uns selbst als ein Weg der Selbstfindung? Ist Max eine bösartige Marionette der Kapitalinteressen der Starcourt Mall in Hawkins und aller anderen Institutionen dieser Art?

Himmel, nein. Max wollte einfach nur für ihre Freundin da sein. Hawkins ist eine fiktive Kleinstadt irgendwo in den USA. „Stranger Things“ ist keine Dystopie. Beauty-Gurus auf YouTube sind keine apokalyptischen Reiter, auch wenn man das manchmal denken könnte. Es ist keineswegs verwerflich, wenn ich einen schönen, schmucken, etwas dekadenten Teppich in den eBay-Kleinanzeigen für mein Zimmer haben will, weil er so toll aussieht. Oder wenn ich in Wanderschuhen und großen bunten Leinenhosen rumlaufe, um anderen zu zeigen, dass ich ein Mensch bin, der es gerne bequem und praktisch hat und natürlich auch noch naturverbunden ist.

Wir sollten definitiv nicht unseren Geschmack, unseren Sinn für Schönheit oder den gelegentlichen Spaß am Schlürfen eines Bubble Teas begraben. Identität kann und sollte auch weiterhin über Kleidung, Kunst oder die Frisur ausgedrückt werden. Konsum zur Lebenserhaltung gehört zu unserer Natur. Schwierig wird es, wenn das alles nicht mehr ohne profitorientierten Konsum möglich ist. Und das ist es ja auch nicht.

Wir sind vollkommene Menschen – auch ohne neue Produkte

Ein neuer Ansatz wäre es, davon wegzudenken. Weg von Klamotten, von Beauty-Produkten, von Entertainment als Ware und Konsumgut und hin zu all diesen schönen Dingen als nützliche Gebrauchsgegenstände. Wir sind auch ohne sie vollkommene Menschen; bis auf sowas wie Essen, Trinken, Medizin, eine Zahnbürste und Sonnencreme ist nichts davon überlebenswichtig oder notwendig für unsere Gesundheit.

Der ganze schöne restliche Schnickschnack ist nichts, was wir brauchen, um uns wie wir selbst zu fühlen. Um uns unseren Freund*innen gegenüber auszudrücken, brauchen wir kein Instagram, sondern eher Zeit mit ihnen. Und um nicht zu frieren, brauchen wir im Winter keinen LFDY-Hoodie, Omas selbstgestrickter Pulli tut’s auch und sieht dazu noch vintage aus.

Kosten tut er außerdem auch weniger. Verzicht ist eben auch nicht gleich Verzicht. Wer das Geld hat, auf Fast Fashion zu verzichten und lieber langlebige 50-Euro-Pullis zu kaufen, soll es sich natürlich gönnen. Genauso wie manche Menschen darauf angewiesen sind, dass es billige Klamotten und Elektronik schnell zu kaufen gibt, so sind doch auch wir alle dazu verpflichtet, uns zu fragen, woran es liegt, dass auf Konsum zu verzichten inzwischen mehr ein Statussymbol ist als eine Notwendigkeit. So sind „Zero Waste“-Produkte oftmals immer noch teurer als ihre nicht nachhaltigen Pendants, während Menschen mit wenig Geld schon ihre Gefrierbeutel waschen und wiederverwenden. Die Frage nach nachhaltigem und bewusstem Konsum kursiert eher in akademischen Gefilden und ist somit leider auch eine Frage der sozioökonomischen Klasse. Bewusster Konsum ist eine ethische Frage, aber wenn jeden Monat die alles erdrückende Frage nach der Miete im Raum schwebt, wird es schwierig, sich nicht ganz bewusst darüber zu werden, was man konsumiert und wie lange die gekauften Dinge möglicherweise halten.

Wenn wir uns finden, ist das keine Lidschattenpalette

Es gibt eine Menge Dinge, die sind nice to have, aber die allermeisten brauchen wir nicht. Eine radikale Akzeptanz unserer Identität und unserer materiellen Situation ‑ im Bewusstsein, dass diese sich auch ändern können ‑ gibt uns mehr Befriedigung als die neuesten Sneaker es je könnten. Möbel, Kleidung, Gegenstände des Verbrauchs sollten für uns wieder zu Instrumenten werden und weniger zum Fleischfortsatz aus Plastik.

Wir sind das, was wir tun, erschaffen, erleben, denken, fühlen – nicht das, was wir besitzen oder konsumieren. Uns zu finden, heißt, zu uns selbst zu kommen und nicht zu irgendeiner Lidschattenpalette. Wenn wir diesen gedanklichen Schritt geschafft haben, sind wir, denke ich, schon auf einem guten Weg.

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