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Bundestagswahlkampf
Foto: picture alliance / Daniel Kubirski | Daniel Kubirski

Geht zur Wahl!

Am 26. September wird gewählt. Die Ära Merkel geht zu Ende, aber was dann? Unsere Autorin hat sich darüber Gedanken gemacht. Und kommt zu dem Schluss: Wer alt genug ist, muss wählen gehen!

Anastasia (16)

Erstes Szenario

Wie schon in den Kalendern der Maya und in den Vorhersagen derer, die in Fässern hausten, wird die Welt dereinst mit ihren Menschen gemeinsam das Ende nehmen, das sie verdient hat. Der Erdmantel und der Himmel sollen aufreißen, das heiße Innere daraus hervorquellen und uns in ihren eisig heißen Wellen ertränken, der Blitz über die Berge von Metall herfallen, das Plastik wieder zu schwarzem Öl schmelzen, der Regen Haut und Felle wegätzen, die Sonnenstrahlen auch den letzten Erleuchteten verblenden und

Ascheregen und Glut
auf die Häupter aller Wesen,
der Erdball geschält,
es siecht, es schneit
und es regnet und die Sonne scheint
und irgendwo im roten Staub
zwischen Erde und dem toten Laub
in der Mittagssonnenbrut
sitzt ein Idiot allein am Tresen und denkt:
„Ach. Hätt‘ ich doch nur grün gewählt.“

Zweites Szenario

Graue Wellen schneiden ins Fleisch der Felsen, Sonne und Wind brennen sich in ausgemergelte Gesichter von Gerippen, die sich übers frostige Mai-Meerwasser zu ernähren suchen. Es zerren sich Hunderte von Mägen zusammen, vielleicht ein paar Rapsblüten, Brotkrumen, die Kinder träumen vom glukosehaltigen Hexenhaus. Wusstet ihr, dass Dänemark genug Lebensmittel erzeugt, um seine Bevölkerung dreimal zu ernähren? Ja, Dänemark hat jetzt ein ziemliches Früchtlingsproblem.

Die Haut hängt wie Lumpen von ihren Skeletten,
mit der sie in Bahnhofsecken verrecken,
Schlange stehen an der Nahrungsmittelausgabestation
und scheißen auf vegetarische Vegetation,
Du bist halt, was du isst:
„Party von nationaler Sicherheit, Sie Kommunist!“
Aber wer ist denn der Kommunist, wenn er nichts isst?
Hungrig wahrscheinlich.
Wenn der Rubel nicht mehr rollt,
wird wohl die schwarze Null zu Gold.
Ja, würde sich Kinderkriegen noch lohnen,
und wäre Heiraten noch fein,
würde Überleben vielleicht gewährt,
aber das in Deutschland, auf deutschem Grund,
dem Schland fallen sie alle in den Schlund
und mit einer halben Schüssel Bohnen
sitzt ein Idiot allein auf Mauerbackstein und denkt:
„Ach. Hätt‘ ich bloß CDU gewählt.“

Drittes Szenario

2072: Grauer Tag, grauer Himmel, graue Straßen, graue Haare, grauer Star. Es schleppen Rentner sich zur Arbeit, man hört ihre Knochen knacken und ihre bunten Motorroller bedrohlich heransurren, für Revolutionen ist schon lange niemand mehr beweglich genug. Schuften bis 75, der Chef weiß echt nicht mehr, wem er eigentlich was bezahlt – der ist nämlich selber voll dement. Tag für Tag in Alltagstagungen, die zu nichts führen.

Alte Knochen brechen schneller,
der Hausmeister starb im Heizungskeller,
damals hieß es noch:
wer hat, dem wird gegeben,
am Ende vom Leben,
begraben werden wir in ihrem Rentenloch.
„But lower pay and higher rents
another kind of violence,
the violence of silence and of greed,
it’s the violence of feeling
your irrelevance revealing
every way in which you never will be freed.“ *
Zeit ist nicht das, was wirklich zählt,
und auch wenn es eh nicht realistisch ist,
sitzen wir allein im Treppenlift und denken:
„Ach. Hätt‘ ich jetzt mal Linke gewählt.“

Viertes Szenario

Elektronen düsen durch Kupferkabel und über Holzmasten, Datenstürme brauen sich in 2000er-Leitungen zusammen, aus denen die Schwarz-Weiß-Überwachungskameras von 1998 ihren Lebenssaft beziehen.

Umständlich. Digitalisierung? Null. Aber immer noch besser als die FDP.

Fünftes Szenario

Der Marktplatz ist ein einziges Sprachgewirr. Kopftücher und Kippot und Kippen flattern durch die Straßen, es riecht nach Hitze und Hamburgern, Deo und Döner, Sonnencreme und Salsa, nach Aftershave und Augustwetter.

Aus Wirtschaftszweigen wachsen Bäume,
wer es ist, der die ganze Kultur aufräume?
Wisst ihr was? Ich sage: Nein! Mehr Deutsch fürs deutsche Vaterland!
Ja, genau, als wär‘ das nicht das  Super-GAU-Land!
Die sind doch sowieso alle kacke,
Spanier? Spanaken! Polen? Polaken!
Japaner? Japanaken! Kanadier? Kanaken!
Wer keine Intoleranz toleriert, ist intolerant,
und das weiß ich, weil‘s bei Facebook stand!
Wir können die doch eh alle nicht gebrauchen,
dem Staat seine Tasche ist eh nicht mehr zu sehen,
und unsere Kinder sollen doch nicht Shisha rauchen!
Ich sage es euch: besser Brandbeschleuniger in der Hand
als Schwiegersohn aus’m Morgenland.
Mit langsamen Stichen wird unsere Kultur gequält,
aber sobald sie es endlich aufgibt,
sitzt ein Idiot allein vor der Moschee und denkt:
„Ach. Hätt‘ ich mal nicht AfD gewählt.“

26. September 2021

Die Qual der Wahl ist letztendlich nur eine Wahl der Qual, eine Entscheidung zur Art der Beschneidung der Bequemlichkeit – und am Ende hätte man es ja sowieso wirklich immer noch besser machen können.

Leute, geht wählen!

 

* aus dem Text des Songs „Freedom Is A Verb“ von Daniel Kahn & The Painted Bird

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