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Foto: picture alliance / NurPhoto | Gerardo Vieyra

Könnt ihr mich hören?

Überall auf der Welt leidet der Schulbetrieb unter der Corona-Pandemie. Aber in Mexiko müssen die Schüler*innen und Lehrer*innen besonders große Herausforderungen meistern.

Leonore (17)

„Hallo, hört man mich? Könnt ihr mich sehen?“ Vielleicht sind das die beiden Fragen, die im Jahr 2020 am häufigsten gestellt wurden – in Millionen von Videokonferenzen. Corona hat unser aller Leben verändert, aber vor allem Schüler*innen und Lehrer*innen standen vor vielen neuen Herausforderungen. Und das nicht nur in Deutschland, wo ich zur Schule gegangen bin, nicht nur in Europa, sondern auf der ganzen Welt und eben auch in Mexiko, wo ich gerade einen Freiwilligendienst absolviere.

Zu Beginn der Pandemie im Frühjahr 2020 wurden in Mexiko die Schulen geschlossen und die Schüler*innen in den Online-Unterricht geschickt, so wie wir es auch in Deutschland erlebt haben. In Deutschland haben wir seit März 2020 eine Menge Experimente erlebt: Mal gab es ausschließlich Online-Unterricht, dann einige Präsenzstunden, es gab Wechselunterricht mit A- und B-Wochen, mal mit, mal ohne Corona-Tests. Zeitweise sind wir in den Regelunterricht zurückgekehrt und zumindest das aktuelle Schuljahr hat in Deutschland dann relativ normal beginnen können.

Seit zwei Jahren sind auch in Mexiko die meisten Schulen geschlossen

In Mexiko war das anders. Seit fast zwei Jahren sind hier die meisten Schulen und Universitäten geschlossen. Der Großteil der mexikanischen Schüler*innen hat seit zwei Jahren weder ein Schulgebäude von innen, noch Schulklasse oder Lehrkräfte zu Gesicht bekommen. Seit zwei Jahren soll der Unterricht weitgehend online stattfinden, aber die Herausforderungen, vor der alle Beteiligten stehen, sind größere und zum Teil andere als in Deutschland.

Meinen Freiwilligendienst hier in Mexiko leiste ich seit November 2021 noch bis März 2022 an der Grundschule Escuela Primaria Independencia in Oaxaca de Juárez, der Hauptstadt des Bundesstaates Oaxaca mit ungefähr 300.000 Einwohnern. Die Schule liegt recht weit oben am Berg in einem Stadtteil namens Santa Rosa, der am Rande der Stadt liegt. In Santa Rosa sind die Häuser kleiner, die Straßen leerer und das Leben weniger touristisch ist als im Zentrum. La Maestra Silvia, erzählte mir, dass viele Eltern ihre Kinder nicht „aquí arriba“, hier oben, in die Schule schicken möchten, denn das Viertel hat keinen guten Ruf. Zu viele Eltern, meinte die Direktorin, würden sich nicht richtig um ihre Kinder kümmern, auch Drogen seien in der Gegend ein Problem. Ich persönlich würde die Escuela Primaria Independencia nicht als Problemschule bezeichnen, aber einfach ist die Situation hier sicher nicht.

Die Escuela Primaria Independencia bot im November und Dezember 2021 als große Ausnahme unter mexikanischen Schulen Präsenzunterricht an. An drei Tagen der Woche konnten die Schüler*innen für drei Stunden in die Schule kommen und unter Beachtung der Hygienevorschriften am Unterricht teilnehmen. Verpflichtend war dies allerdings nicht, ungefähr die Hälfte der Klasse blieb weiterhin zu Hause. Für diese Schüler*innen wurde an den anderen beiden Wochentagen Online-Unterricht angeboten. Doch optimal war diese Situation nicht.

Laptops sind Mangelware, viele Kinder können nicht am Online-Unterricht teilnehmen

Denn viele Kinder können nicht am Online-Unterricht teilnehmen. Computer, Laptops und WLAN sind Mangelware in den Familien, viele müssen sich über ein Handy in die Konferenz einwählen, und die haben oft schlechte Datenverbindungen. Wenn aber jeder Satz der Kinder als abgehacktes Stottern ankommt oder nur noch Standbilder zu sehen sind, wird ein guter Unterricht natürlich schwierig. Zudem hat nicht jedes Kind ein eigenes Zimmer, mitunter sitzt die ganze Familie mit im Raum, die schreienden Geschwister nehmen auch an der Konferenz teil. Wieder andere sind gar nicht zuhause, sondern sitzen am Markstand mitten im Straßenlärm oder im Geschäft der Eltern, denn die müssen ja weiter arbeiten, auch wenn die Schule geschlossen ist – und die wenigsten können im Homeoffice arbeiten.

Ein spezielles Problem, mit dem die Escuela Primaria Independencia zu kämpfen hat, ist die geringe Anzahl der Schüler*innen. Für jede Stufe von 1 bis 6 gibt es eine eigene Klasse mit jeweils etwa zehn Schüler*innen. Dies steht im großen Gegensatz zu anderen Schulen in der Gegend, die oft Klassen mit bis zu 30 Schüler*innen haben. Dass die Gruppen so klein sind, ist natürlich erst einmal positiv, weil die Schüler*innen so individueller gefördert werden können. Aber während der Corona-Zeit werden aus den kleinen Klassen nun Klassen, die kaum noch existieren.

Zu einer meiner ersten Musikstunden tauchten nur zwei Mädchen online auf: Alexa und ihre Freundin. „Die Freundin“ hatte eine dermaßen schlechte Verbindung, dass ich nicht einmal ihren Namen verstanden habe. Alexa saß draußen mit ihrer Mutter, die mit Nähen beschäftigt war. Alle fünf Minuten ratterte hinter Alexa die Nähmaschine los. Ich habe Alexa zwar manchmal nicht verstanden, sie hatte aber großen Spaß mit dem Tanz, den wir einstudiert haben. Irgendwann habe ich die Mutter gefragt, ob sie nicht mittanzen möchte, was sie tatsächlich auch gemacht hat.

Eine unbefriedigende, frustrierende Situation für Schüler*innen und Lehrer*innen

Mit diesen Erfahrungen war ich nicht allein. Auch die anderen Lehrer*innen berichten, dass sich in ihre Konferenzen nur wenige Schüler*innen einwählen. Und dass viele Schüler*innen nicht zum Online-Unterricht kommen, hat seine Gründe. Vielleicht hat die Familie kein Internet, vielleicht hat sie nicht einmal ein Handy, vielleicht haben die Eltern auch den Unterricht vergessen, weil sie selber arbeiten müssen. Es ist eine unbefriedigende, frustrierende Situation für alle. Für die Schüler*innen, die keinen vernünftigen Unterricht bekommen, aber auch für die Lehrer*innen, die oft nur mit einer oder wenigen Schüler*innen in Videokonferenzen sitzen. Wenn ich heute mit Alexa und Alvaro die Farben auf Englisch durchnehme, in der nächsten Stunde dann aber Jennifer und Nubia auftauchen, müssen wir mit dem Stoff wieder von vorne beginnen.

Trotz aller Schwierigkeiten sieht es die Escuela Primaria Independencia aber natürlich als ihre Aufgabe an, die Kinder auch in Corona-Zeiten zu beschulen. In den vergangenen Monaten hatte die Schule gehofft, im Januar zum regulären Präsenzunterricht für alle zurückkehren zu können. Doch diese Hoffnung wurde enttäuscht. Zwar stellt es der mexikanische Staat den Schulen frei, ob sie zum Präsenzregelunterricht zurückkehren wollen. Aber die Menschen sind – trotz im Vergleich zu Deutschland relativ niedriger Inzidenzen – sehr vorsichtig, viele haben Angst. Deshalb hat sich die Schule entschieden, nach den Weihnachtsferien nicht einmal den freiwilligen Präsenzunterricht mehr anzubieten. Und so sitzen wir weiterhin zu Hause, fragen „Hallo, hört man mich?“ in unsere Laptops und hoffen, dass sich die Situation bald bessern wird.

 

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