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Foto: picture alliance / ZB | Britta Pedersen

Manche Gefühle gibt es nur auf Kurdisch

Von wegen Willkommenskultur: Nach einer anstrengenden Reise war das Ankommen in Deutschland für unsere Autorin nicht einfach.

Merve (19)

Ich bin Kurdin. Das ist ein einfacher Satz. Aber nicht für mich, denn früher war es gefährlich für mich, diesen Satz auszusprechen. In der Türkei, wo ich aufgewachsen bin, war die kurdische Sprache lange Zeit verboten. Das ist der Grund, warum ich heute in Deutschland lebe, nun drei Sprachen spreche und auf Deutsch schreiben kann. Aber ich bleibe Kurdin, denn Kurdisch ist meine Muttersprache.

Manche Gefühle leben nur in bestimmten Sprachen, hat einmal mal die Autorin Kübra Gümüsay geschrieben. Das hat mich sehr berührt, denn ich habe genau verstanden, was sie meint. Im Türkischen oder Deutschen suche ich oft nach dem richtigen Wort, um ein Gefühl zu beschreiben, das ich nur im Kurdischen benennen kann.

Eine neue Sprache, eine neue Kultur, neue Menschen

Ich war 12 Jahre alt, als wir nach Deutschland gekommen sind. Es war nicht leicht, nach Deutschland zu kommen. Ängste und Sorgen, aber auch Neugier prägten die Reise. Fast noch schwerer war es aber, in Deutschland anzukommen.

Denn wir dachten, wir hätten nun alle Probleme hinter uns gelassen. Stattdessen mussten ich und meine fünf Geschwister mit vielen neuen, unerwarteten Schwierigkeiten klarkommen. Wir mussten eine neue Sprache lernen, eine neue Kultur verstehen, neue Menschen kennenlernen. Das war ein Kulturschock für uns. Schon viele Dinge des Alltags waren ein Problem, so wie die Tatsache, dass man in vielen Behörden einen offiziellen Termin braucht. Bis wir das begriffen hatten, haben wir ein paar Mal umsonst gewartet. Selbst von Weihnachten hatten wir noch nie etwas gehört.

Für mich war besonders verwirrend, dass wir zuhause Kurdisch, aber manchmal auch Türkisch sprachen, und ich in der Schule zusätzlich Deutsch lernen sollte. Aber zum Glück hatten wir tolle Lehrerinnen, die sehr viel Geduld mit uns hatten und uns halfen, uns in der neuen Sprache und der neuen Kultur zurechtzufinden. Von meinen Lehrerinnen habe ich meine ersten Weihnachtsgeschenke bekommen, und so gelernt, wie wichtig Weihnachten in Deutschland ist.

Ich war überfordert – und meine Mitschüler auch

Zuerst waren wir „Ausländer“ in der Klasse unter uns, dann wurden wir aufgeteilt. Eine neue Klasse, neue Menschen – schon wieder. Ich war überfordert – und meine Mitschüler auch. Ich wurde inspiziert, analysiert, kategorisiert und katalogisiert, aber geredet hat kaum jemand mir. Niemand hat es direkt gesagt, aber ich konnte es hören: „Hä, wer ist die denn?“

Also nahm ich mir fest vor, die deutsche Sprache so schnell und so gut zu lernen, wie es geht. Allein deswegen, weil ich schon als 14-Jährige die Briefe für meine Familie übersetzen musste. Aber auch als ich mich später sicherer fühlte mit der deutschen Sprache, änderte sich das Verhalten der anderen Menschen mir gegenüber nicht. Immer hatte ich das Gefühl, irgendwas beweisen zu müssen, mich rechtfertigen zu müssen dafür, dass ich in Deutschland war. Ich musste gute Noten schreiben und durfte mich nicht streiten mit anderen Menschen, denn dann hätte ich nur Vorurteile bestätigt.

Trotzdem wurde ich immer wieder mit solchen Vorurteilen konfrontiert. Mal sagte jemand zu mir: „Du wirst das Gymnasium eh nicht schaffen, wechsel doch lieber auf die Realschule.“ Jemand anderes fragte: „Musst du denn kein Kopftuch tragen?“ Und einmal wollte jemand wissen: „Darfst du überhaupt mit Jungs reden?“ Bestimmt Tausend solcher Fragen und Kommentare durfte ich mir anhören. Jedes Mal habe ich versucht zu antworten, habe ich mich erklärt, gerechtfertigt. Das war unangenehm, aber Ich habe mich trotzdem niemals negativ beeinflussen lassen. Statt mich zurückzuziehen, habe ich mich in einem Sportverein angemeldet, um mit mehr Menschen in Kontakt zu kommen, und habe mich sozial engagiert – und ich habe jedes Mal versucht, die immer gleichen Fragen zu beantworten, weil ich mir Verständnis erhoffte.

Rassismus und Diskriminierung haben immer eine Rolle in meinem Leben gespielt

Trotzdem blieben die Vorurteile bestehen. Rassismus und Diskriminierung haben immer eine Rolle in meinem Leben gespielt. In der Türkei waren wir „die Kurden“ und in Deutschland sind wir „die Flüchtlinge“. Ich durfte niemals einfach Merve sein.

Aber heute, sieben Jahre nach der beschwerlichen Reise nach Deutschland, schreibe ich diesen Text. Ich bin in der 13. Klasse und werde bald mein Abitur haben. Danach würde ich gerne Psychologie studieren.

Ich weiß, dass ich in meinem Leben viele Menschen enttäuscht habe, die mir nicht zugetraut haben, dort zu sein, wo ich heute bin. Darauf bin ich stolz.

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