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Foto: picture alliance/dpa | Sven Hoppe

Verkleidet im falschen Film

Was jetzt?, hat sich unsere Autorin nach dem Abitur gefragt und ging mit einem Freiwilligendienst für sechs Monate nach Mexiko – eine überfordernde Erfahrung

Leonore (18)

Nachdem ich im Sommer 2021 die Schule mit dem Abitur beendet hatte, stellte ich mir eine für mein Alter zwar typische, aber trotzdem in vielen Fällen existenzkrisenverursachende Frage: Und was jetzt? Studieren? Aber was? Arbeiten? Aber wo? Vielleicht lieber einen Freiwilligendienst absolvieren? In eine Existenzkrise hat mich die Frage glücklicherweise nicht gestürzt, aber in eine umfassende Recherche zum Thema Freiwilligendienste.

Als Freiwilligendienst wird ehrenamtliche Arbeit bezeichnet, die vor allem junge Menschen über einen Zeitraum von meist einem Jahr ausüben. Ob der Dienst in Deutschland oder im Ausland, in einer Schule, einem Kindergarten oder einem Altenheim absolviert wird, das hängt von den eigenen Vorstellungen, aber auch von der Organisation ab, die den Dienst vermittelt.

Ich wollte eine neue Sprache, ein neues Land, eine neue Kultur kennenlernen

Meine Vorstellung war, dass bei einem Freiwilligendienst der kulturelle Austausch im Vordergrund steht und die Möglichkeit für beide Seiten, etwas voneinander zu lernen. Deshalb wollte ich meinen Freiwilligendienst auch in einem fremden Land absolvieren. Ich wünschte mir, nach dem Abitur aus Deutschland herauszukommen, eine neue Sprache, ein neues Land und eine neue Kultur kennenzulernen.

Bei meiner Planung stieß ich allerdings schnell auf eine Hürde: Staatlich geförderte Programme wie Weltwärts, an denen die Freiwilligen teilnehmen können, ohne etwas zu bezahlen, stehen nur volljährigen Menschen offen. Da ich aber erst 17 Jahre alt war, kam das für mich nicht in Frage. Nach langer Recherche habe ich dann aber doch die Möglichkeit entdeckt, über eine deutsche Organisation und ihre mexikanische Partnerorganisation einen sechsmonatigen Freiwilligendienst in Mexiko zu machen, für den ich selbst bezahlen musste. Das Profil der Organisation, aber auch der Mangel an Alternativen sorgten dafür, dass ich mich für diese Möglichkeit entschieden habe.

In einem kurzen Seminar hat die Organisation mich und andere Freiwillige auf den Dienst in einer Schule vorbereitet. Vor allem ging es darum, dass wir in Mexiko nicht als überhebliche weiße Deutsche auftreten sollten. Wir sollten nicht mit dem Anspruch nach Mexiko reisen, dass wir dort Probleme lösen oder gar die Kultur verändern könnten. Wir sollten uns klar machen, dass wir als junge Menschen in erster Linie dazulernen und Erfahrungen sammeln könnten. Niemand in Mexiko oder den anderen Zielländern sei auf uns angewiesen, wurde uns deutlich gemacht, wir seien lediglich eine Unterstützung in einem bestehenden System. Eine sehr richtige Sichtweise, wie ich finde. Und der Versuch, uns schon vor dem Aufenthalt in Mexiko dafür zu sensibilisieren, dort nicht überheblich aufzutreten, war zweifellos wichtig.

Die Verantwortung, die ich plötzlich trug, war zu groß für mich.

Dermaßen informiert und motiviert, brach ich nach Oaxaca auf und freute mich auf eine spannende und lehrreiche Zeit. Doch die Realität sah ganz anders aus, als es mir in Deutschland vermittelt worden war: Kaum angekommen, wurde ich von der Schule sofort als vollwertige Lehrerin eingesetzt. Ich wurde als „Maestra Leonore“ angesprochen und war alleine für den gesamten Englisch- und Musikunterricht der Schule verantwortlich. Trotz meiner zu diesem Zeitpunkt noch recht geringen Spanischkenntnisse und ohne jede pädagogische Ausbildung war ich von der Organisation über die Planung bis hin zur Durchführung des Unterrichts auf mich alleine gestellt. Die Stelle, die ich ausfüllen sollte, war extra für mich geschaffen worden. Bevor ich kam, hatten die Schüler*innen keinen Englisch- und keinen Musikunterricht bekommen. Als mein Dienst nach sechs Monaten endete, endete auch der Englisch- und Musikunterricht für die Schüler*innen. Eine Situation, die mich überfordern musste und dadurch, dass der Unterricht aufgrund der Corona-Pandemie zum größten Teil online stattfand, noch verschärft wurde. Die Verantwortung, die ich plötzlich trug, war zu groß für mich.

Es sind vor allem zwei Dinge, die dazu geführt haben, dass ich mich hereingelegt gefühlt habe: von der deutschen Organisation, von der mexikanischen Organisation, auch von der Schule. Zum einen widersprach die Situation, in die ich hineingeworfen wurde, den Ideen und Werten, die mir in Deutschland in der Vorbereitungsphase vermittelt worden waren. Die Freiwilligen sollten eine nicht notwendige, aber hilfreiche Unterstützung für das bestehende System sein. Die Realität sah aber ganz anders aus: Die mexikanische Organisation und damit auch die Schule sahen mich trotz meines Alters als vollwertige Englischlehrerin „Maestra Leonore“. Mir ist bewusst, dass Erwartungen und Realität immer auseinanderklaffen können, aber die Erwartungen an mich wurden nicht richtig kommuniziert und den Beteiligten hätte klar sein müssen, dass ich diese Erwartungen auch nicht hätte erfüllen können.

Immer begleitete mich das Gefühl, dass es nicht richtig ist, was ich hier mache.

Das andere große Problem war das Gefühl, das mich immer begleitet hat, dass es nicht richtig ist, was ich hier mache. Nach meiner überraschenden Verwandlung von einer Freiwilligen zur einzigen Englisch- und Musiklehrerin in der Schule, habe ich mich gefühlt wie verkleidet im falschen Film. Ich finde es einfach nicht richtig, eine 17-jährige zukünftige Studentin wie eine vollwertige Lehrerin agieren zu lassen.

Trotz alledem habe ich den Freiwilligendienst zu Ende gebracht. Was aber vor allem bleibt, ist ein Unmut darüber, dass es so gekommen ist, wie es gekommen ist. Hätte die deutsche Organisation von Anfang an kommuniziert, in welches Abenteuer ich mich begebe: Wer weiß, ob ich es gemacht hätte? Vielleicht war es den zuständigen Menschen in Deutschland aber auch gar nicht bewusst, ich weiß es nicht. Was ich weiß: Augen auf bei der Wahl des Freiwilligendienstes!

 

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