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Foto: picture alliance / Christian Charisius/dpa | Christian Charisius

Was bin ich? Ein Drittkulturkind!

Als Kind von Diplomaten muss man oft umziehen und wächst zwischen vielen verschiedenen Welten auf. Eine große Bereicherung, findet unsere Autorin, aber manchmal auch eine Belastung.

Penelope (19)

Schuhe kicken gegen meinen Rücken. Eine Hand um mein Fußgelenk zieht mich in den Abgrund des Pools. Wasser auf meinem Mathebuch. Spülmittel in der Trinkflasche. Täglich ausgelacht, weil mein Name Buchstaben hat, die es im arabischen Alphabet nicht gibt. Kein Tropfen deutsches oder ägyptisches Blut wie meine Mitschüler. Weinend verkrieche ich mich in die Schultoilette und fühle mich wie eine komplette Außenseiterin. Drei lange Jahre sah mein Leben an der deutschen Schule in Kairo so aus.

Als ich dem Begriff „Drittkulturkind“ begegnet bin, war ich erleichtert. Endlich gab es ein Wort, in dem ich mich wiederfand. Wenn es schon ein Wort gab, das meine kulturelle Identität beschreibt, dann musste es noch mehr Menschen geben, die zwischen mehreren Welten lebten. Mehr Menschen wie mich. Endlich war ich nicht mehr allein. Ein erster Schritt um das Mobbing-Trauma hinter mir zu lassen. Drittkulturkinder sind Kinder, die in einer anderen Kultur aufwachsen als die ihrer Eltern, so lautet die Definition. Als Kind einer amerikanischen Diplomatenfamilie habe ich den größten Teil meines Lebens außerhalb von den Ländern verbracht, in denen meine Eltern aufgewachsen sind.

Oberflächlich wirkt das Leben als „Expat“ wie ein Abenteuer

Von außen wirkt das Leben als „Expat“ oft wie ein Abenteuer. Und ja, oft ist es auch ein Abenteuer: Als kleines Kind beobachtete ich wilde Pinguine im neuseeländischen Wald. In der Grundschule fuhr ich mit dem Schulbus täglich am Nil vorbei. Aber ich musste auch leben lernen mit der Angst vor jedem neuen Umzug. Nachts lag ich oft wach im Bett und fragte mich, ob ich neue Freunde finden und mich in der neuen Gesellschaft einfügen würde können. Die ständigen Veränderungen machen mich müde. Und eigentlich fühle ich mich in jedem Land manchmal wie eine Fremde, selbst im Süden der USA, wo meine Familie lebt.

Obwohl ich in Texas geboren wurde, sprechen mich Menschen manchmal an, als würde ich dort nicht hingehören. Und mittlerweile wirkt auch die berühmte „southern hospitality“, die überbordende Gastfreundlichkeit im Süden auf mich seltsam. Trotz der vielen Jahre, die ich anderswo verbracht habe, besitze ich immer noch eine starke Verbindung zu Texas und habe mich nie entwurzelt gefühlt. Egal wo ich auch lebe, immer werde ich dort in Texas, wo meine Familie lebt, ein Zuhause haben.

Ich stehe nicht nur zwischen zwei, sondern drei Kulturen

Aber auch wenn ich gerne Cowboy-Stiefel trage, bin ich doch kein „all-american girl“. Denn meine Identität ist mindestens ebenso stark von Deutschland beeinflusst. Grimms Märchen haben meine Leidenschaft für das Schreiben ausgelöst, mein Wissen von der Welt stammt zu großen Teilen aus dem deutschen Bildungssystem. Da die Naturwissenschaften in Deutschland in einem jüngeren Alter eingeführt werden als in den USA, bin ich früh mit Physik in Kontakt gekommen – und möchte dieses Fach bald studieren.

Aber ich stehe nicht nur zwischen zwei, sondern sogar drei Kulturen. Meine Mutter ist, als sie ein Kind war, mit ihrer Familie vor dem Krieg aus Vietnam in die USA geflüchtet. Heute wird in meiner Familie gesagt, mein Ehrgeiz wäre von meiner vietnamesischen Herkunft geprägt, denn meine Familie musste sich in Amerika ein neues Leben aus dem Nichts aufbauen. Meine Mutter erzählt oft von den vielen Hindernissen, die überwunden werden mussten. Dieser Teil der Familiengeschichte prägt meine Weltsicht bis heute. Und mittlerweile kann ich voller Überzeugung sagen: Das Leben als Drittkulturkind ist insgesamt ein Gewinn.

Wie mir geht es auch anderen. In meinem Freundeskreis gibt es viele, die in mehreren Kulturen zuhause sind. Dilara ist so alt wie ich, wurde in Bulgarien geboren und ist im Alter von acht Jahren nach Frankfurt am Main gezogen. Seit sie in Deutschland lebe, habe sie mit der bulgarischen Kultur, berichtet sie, nur noch wenige Berührungspunkte. „Dadurch, dass ich mich auf Deutsch freier und müheloser ausdrücken kann als auf Bulgarisch, unterhalte ich mich mit meiner Schwester so gut wie immer auf Deutsch“, erzählt Dilara. „Trotzdem vergesse ich die bulgarische Sprache nicht, weil ich mit meinen Eltern und vor allem meinen Großeltern nur auf Bulgarisch kommuniziere. Und die Kultur, die wir tagtäglich praktizieren, nämlich das bulgarische Essen und die damit verbundenen Traditionen, die werden für mich immer erhalten bleiben.“

Integriert, aber nicht assimiliert

Dilara stört es nicht sonderlich, dass sie über das Essen und die Sprache hinaus kaum noch tiefere Verbindungen zur bulgarischen Kultur hat. Sie fühlt sich gut integriert, aber das war ein langer Prozess, seit sie mit minimalen Deutschkenntnissen mit acht Jahren in eine deutsche Schule kam. „Leider gab es auch Kinder in der Schule, die meine fehlenden Sprachkenntnisse als Gelegenheit gesehen haben, mich zu beleidigen“, erinnert sie sich. Und wie viele andere Kinder mit Migrationshintergrund musste auch Dilara ohne die Hilfe ihrer Eltern herausfinden, wie es in Deutschland so läuft, wie das deutsche Schulsystem funktioniert oder wann man am besten seinen Führerschein machen sollte.

Heute ist sie stolz, dass sie sich integriert, aber nicht assimiliert hat. „Menschen, die sich assimilieren, verlieren die Möglichkeit, sich mit ihrer ursprünglichen Kultur zu identifizieren“, sagt Dilara. „Auf der anderen Seite verliert die Mehrheitsgesellschaft aber auch die Möglichkeit, bereichert zu werden. Das halte ich aber für sehr wichtig, um Ignoranz in einer Gesellschaft vorzubeugen.“ Dilara glaubt, Assimilation sei letztendlich ein Verlust für uns alle: „Integration dagegen ist der richtige Umgang mit hinzukommenden Kulturen.“

Die Integration in den USA oder in Deutschland war für mich einfacher als für andere Drittkulturkinder. Oft wird mir gesagt: „Du siehst gar nicht asiatisch aus.“ Deshalb fühle ich eine Verpflichtung, den Stolz auf meine Herkunft zum Ausdruck zu bringen. Zugleich habe ich aber auch manchmal das Gefühl, ich sei nicht asiatisch genug, weil ich im Gegensatz zu meinen Geschwistern vom weißen Privileg profitiere. Dieses Phänomen, das „white passing“ genannt wird, wurde historisch in den USA verwendet, um Schwarze Menschen zu beschreiben, die hellhäutig genug waren, um Rassismus, Diskriminierung, ja sogar der Sklaverei entkommen zu können.

Es ist anstrengend, die deutsche Staatsbürgerschaft zu bekommen

Auch heute wird der Begriff noch verwendet, weiß Miriam. „Da ich keine Diskriminierung aufgrund meiner Ethnie erlebe, weil man sie mir nicht ansieht, würde ich eher sagen, dass ich weiß bin als ,white passing’“, sagt sie. Die 17-Jährige hat eine deutsche Mutter und einen marokkanischen Vater und findet den Begriff problematisch, denn oft wird „white passing“ als Vorwurf benutzt, dass Menschen, die äußerlich als weiß wahrgenommen werden, vermeintliche Vorteile erhalten. „Das ist eine komische Debatte, bei der man jemandem seine ethnische Identität vorwirft“, findet Miriam. „Aber leider ist es so, dass sich die Wahrnehmung anderer auch auf meine Identität auswirkt. Meine Selbstwahrnehmung sieht zwar ganz anders aus, denn die Verbindung zur Kultur meines Vaters, die Familie, das Essen, meine Erfahrungen, das macht meine Identität aus.“

Der physische Nachweis von Nationalität ist der Reisepass. Es ist anstrengend, die deutsche Staatsbürgerschaft zu erlangen, denn es gibt eine lange Wartefrist und viele Anforderungen. Wenn man außerhalb der EU geboren wurde, muss man sogar seine alte Nationalität aufgeben, um deutsche Staatsbürger*in werden zu können. Deshalb ist es außergewöhnlich, dass Sascha neben ihrem deutschen Reisepass auch noch die russische und kanadische Staatsbürgerschaft besitzt. Das Verhältnis der verschiedenen Nationalitäten zueinander ist für die 18-Jährige nicht festgefügt. „Es kommt darauf an, in welchem Umfeld ich mich befinde. In Deutschland, wo ich geboren und aufgewachsen bin, fühle ich mich eher der russischen oder kanadischen Identität verpflichtet. Aber sobald ich außerhalb von Deutschland meine Familie besuche, fühle ich mich hundertprozentig deutsch.“

Trotz dieser Zerrissenheit sieht Sascha ihren Status als Gewinn: „Ich bin jeden Tag dankbar dafür, dass meine Eltern es mir ermöglicht haben, mit ihren Kulturen aufzuwachsen und so ein vielschichtiges Weltbild zu bekommen. Mehrere Pässe zu besitzen, das ist ziemlich praktisch, vor allen an Flughäfen. Aber was mir am meisten das Herz wärmt ist die Tatsache, dass ich behaupten kann, mich sowohl in Deutschland und Kanada als auch in Russland zu Hause zu fühlen.“

Noch besser als Drittkulturkind gefällt mir: Weltbürger

Mein Freundeskreis besteht aus Menschen, die ein gutes Gleichgewicht gefunden haben, mit ihren verschiedenen kulturellen Identitäten umzugehen. Aber Multi-Kulti ist nicht für jeden eine glückliche Realität, denn viele fühlen sich, als würden sie zwischen den Kulturen festhängen. Und auch Dilara, Miriam, Sascha und ich sind von Diskriminierung und Vorurteilen betroffen. Wir haben Glück, dass wir in einem meist toleranten und offenen Umfeld leben. Dieses Glück haben aber nicht alle.

Was ich auch festgestellt habe, als ich mich unter meinen Freundinnen umgehört habe: Es gibt unzählige Weisen sich mit mehreren Kulturen zu identifizieren. Vielleicht reicht das Wort „Drittkulturkind“ gar nicht aus, um diese Vielfalt zu beschreiben. Viel besser gefällt mir: Weltbürger. Denn Identität kann Grenzen überschreiten.

Im Winter bin ich besonders dankbar, dass ich zwischen mehreren Welten lebe. Glühwein dampft in der kalten Luft, die Karussellpferde drehen sich auf dem Weihnachtsmarkt. Zuhause kommen den ganzen „Christmas Day“ lang weihnachtliche Popmelodien aus den Lautsprecherboxen. Ein paar Wochen später bricht der Esstisch fast zusammen unter den Frühlingsrollen und vietnamesischen Crêpes. Überall sind laute Stimmen in verschiedenen Sprachen zu hören, während ich voller Stolz alle meine Freunde eingeladen habe zu den Mond-Neujahr-Feiern.

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