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Ein Zirkus am Ufer
Foto: unsplash.com

Wenn der Zirkus kommt

Der 17-jährige Roman aus Aachen erzählt, wie er mit 11 Jahren nach Deutschland kam. Er gibt uns Einblicke in seine Sehnsüchte und Erinnerungen. So ist der Zirkus in seiner alten Heimat ein Plätzchen, wo er sich glücklich fühlte.

Roman (17)

Wenn der Zirkus kommt

Ich bin Russe. Im Alter von elf Jahren kam ich nach Aachen, wo meine Mutter bereits seit zwei Jahren mit ihrem neuen Lebensgefährten lebte. Eigentlich war ich damals froh, der Armut entfliehen zu können, um hier ein neues Leben zu beginnen. Ich habe schwere Erkrankungen hinter mir, die mir auch heute noch zu schaffen machen, aber ich darf mich hier aufgehoben fühlen, weil das Gesundheitssystem in Deutschland sehr gut ist. Hier hat man mir helfen können, ohne dass sich meine Mutter finanziell ruinieren musste. Ich lebe nun seit sieben Jahren in Deutschland, und ich kann nicht sagen, dass ich hier wirklich angekommen bin. Ich profitiere natürlich von vielen Einrichtungen. Es gibt für alle die Möglichkeit, sich weiterzubilden. Ich besuche das Gymnasium, wo ich zwar einige Schwierigkeiten habe, aber ich komme hier meinem Ziel, einmal ein Studium zu absolvieren näher. Mein größter Wunsch ist es, irgendwann selbstständig zu sein, eine eigene Wohnung zu haben und eigenes Geld zu verdienen. Ein Zurück nach Russland gibt es nun nicht mehr, was aber nicht heißt, dass ich hier mein Glück gefunden habe. Es gibt so Vieles hier, was mich deprimiert. Ich habe Schwierigkeiten, um Anschluss zu finden, aber das kommt auch daher, weil ich nicht die Freiheiten habe, die deutsche Jugendliche haben. Ich habe nicht die Möglichkeit, mich abends zu amüsieren. Meine Mutter besteht darauf, dass ich abends zuhause bleibe.

Wenn ich abends im Bett liege, denke ich häufig über mein Heimatland Russland nach. Ich denke an all das, was ich hier nicht mehr habe. Da sind meine kranken pflegebedürftigen Großeltern, die ich nicht besuchen kann, weil dafür das Geld fehlt. Da ist die russische Kultur in Gestalt von Musik und Kunst. Da ist die russische Seele, die in den meisten Russen wohnt. Auch ich trage die russische Seele in mir, und die weint, wenn ich an meine Kindheit denke und an all das, was ich zurückgelassen habe. Da ist die russische Sprache, die so sehr liebe. Erst jetzt werde ich mir bewusst, wie sehr ich Russland, „meine große Mutter“ vermisse. In meiner Heimatstadt war sicherlich auch nicht alles perfekt, aber ich war ein Russe unter vielen. Hier in Deutschland bin ich ein Russe unter vielen Deutschen, und das macht mich manchmal sehr einsam.

Wie sehr wünsche ich mir ein Plätzchen, wo ich mich glücklich fühlen kann. In meiner alten Heimat hatte ich so etwas. In der Stadt hatte ein Zirkus ein Dauerquartier. Das Besondere an diesem Zirkus war, dass dort jeden Monat eine andere Zirkustruppe gastierte. So konnten wir Kinder und auch die Erwachsenen einmal im Monat auf ein schönes Zirkusprogramm freuen. An eine Zirkustruppe kann ich mich besonders gut erinnern. Diese Zirkusnummer war sozusagen die Krönung meiner Kindheit. Nie wieder werde ich wohl diese unbeschreiblich schönen Momente erleben dürfen. Bei dieser Nummer balancierten Tiger auf Discokugeln und der Dompteur ließ sich sogar auf einer dieser Kugeln mitsamt Tiger in circa 15 Meter Höhe ziehen, und das ohne Auffangnetz. Das Publikum tobte vor Begeisterung. Diese Szenen verzauberten, waren aber auch atemberaubend aufregend, weil das Leben von Dompteur und Tiger nur an einem Faden hingen.

Wie sehr sehne ich mich nach diesen Erinnerungen, nach diesem Platz zurück, der mich als Kind so glücklich machte. Leider weiß ich, dass ich Erinnerungen nur noch in meinem Kopf präsent sind. Zumindest aber habe ich sie nun aufgeschrieben, und ich hoffe, dass der eine oder andere sie lesen wird.

 

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Schülerinnen und Schüler mit Migrations- und Fluchterfahrung des Anne-Frank-Gymnasiums in Aachen haben ihre persönlichen Geschichten in dem Buch „Zwischen den Welten“ veröffentlicht. Die Geschichten handeln von Abschied, Schmerz, Todesangst, Trauer über den Verlust von Menschen und der geliebten Heimat, aber auch Hoffnung auf Frieden, Sicherheit und Glück. Das Buch öffnet Herzen, es lässt mitfühlen und zeigt, wie gleich wir Menschen doch in der Tiefe unserer Herzen sind.

Weitere Texte, Informationen und Bestellmöglichkeiten gibt es auf der Website https://zwischen-den-welten.eu.

Ihr seid Schüler*innen einer Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage, schreibt gern und werdet gern gelesen?

Meldet euch bei uns per E-Mail an redaktion@qrage.online und vielleicht findet sich auf diesen Seiten bald auch ein Text  von euch!

Lesermeinungen

  1. Grey
    23.03.2019

    Hallo. Ich finde den Anfang deines Textes gut. Da ich eine ähnliche Geschichte wie du habe, konnte ich mich mit dem Erzähler identifizieren. Was ich nicht gut finde, ist, dass am Ende des Textes ein Zirkus glorifiziert wird. Es ist leider so, dass viele Tiere bei Zirkussen nicht artgerecht gehalten werden können.

  2. Anna
    24.04.2019

    Hallo Roman, danke für deinen Text. Da meine Mutter aus der Slowakei ist (mein Papa kommt aus Deutschland) und meine Eltern sich in der ehemaligen Sowjetunion beim Studium kennen gelernt haben, kann ich zumindest ein bisschen deine Einsamkeit verstehen. Mein Freund*innenkreis ist überwiegend weiß und deutsch. Sie verstehen nicht immer, wenn ich mit ihnen teilen will, was mich in Bezug auf meine Familie in der Slowakei oder die russischen Freund*innen meiner Eltern, mit denen ich aufgewachsen bin, bewegt.
    Aber ich kann dir sagen: du bist nicht allein. Du hast noch viel von deinem Leben vor dir und du kannst es gestalten. Du bist noch jung und wenn du einmal deinen Weg gegangen bist, kannst du es dir sicher leisten, viele deiner Wünsche zu verwirklichen. Zum Beispiel regelmäßig deine Großeltern in Russland zu besuchen. Sicher findest du auch weitere Leute aus der russisch-deutschen Community, die dich verstehen und deine Erfahrungen teilen. Wenn nicht in Aachen, dann vielleicht in einer anderen Stadt?
    Gib nicht auf. Du hast einen guten Weg eingeschlagen, auch wenn er manchmal steinig ist. Es warten in der Zukunft bestimmt noch schöne Erfahrungen auf dich. Da bin ich mir ganz sicher.

    Vielleicht hilft es dir auch, Bücher von anderen Menschen zu lesen, die ähnliche Erfahrungen machen? Eines, das ich sehr gut finde, ist erst kürzlich erschienen: Es heißt „Eure Heimat ist unser Albtraum“ und wurde von Fatma Aydemir und Hengameh Yaghoobifarah herausgegeben.

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