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Foto: picture alliance / Daniel Kubirski

Wie eine Fliege im Netz

Als die Freundin keine Maske mehr tragen wollte: Wenn Jugendliche beginnen, an eine weltweite Verschwörung zu glauben, können Freundschaften zerbrechen

Lilian (19)

Als eine Freundin Bilder einer Demonstration im Frühsommer 2020 in München auf Instagram postete, beunruhigte mich das zuerst noch nicht allzu sehr. Ja, es war eine Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen der Regierung, aber auf ihrem Pappschild protestierte sie für ihr Demonstrations- und Meinungsrecht. Ihr Kommentar unter den Bildern ließ mich dann doch aufhorchen. Dort bezeichnete sie Deutschland als „Willkürstaat“ und dessen Polizist*innen als „politische Marionetten“. Eine solche harte Wortwahl kannte ich nicht von ihr, aber in den nächsten Wochen veränderte sie sich noch stärker. Freund*innen berichteten von aggressiver Diskussionsführung, wenn es um das Tragen von Masken ging. Wenn die Clique in der WhatsApp-Gruppe etwas plante, meldete sie sich nicht. Sie isolierte sich zusehends. Als sie in einem Online-Kommentar dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder den Suizid nahelegte, meldete ich dies. Seitdem besteht kein Kontakt mehr zwischen uns.

Es kann jedem passieren, dass Menschen aus dem Umfeld plötzlich in Verschwörungserzählungen abdriften. Insbesondere Kinder und Jugendliche, die noch nicht lange in den sozialen Medien unterwegs sind und wenig Erfahrung mit den Gefahren des Internets gesammelt haben, scheinen mir gefährdet. Aber anscheinend kann es fast jedem passieren, wie eine Fliege in ein Spinnennetz aus Verschwörungen, Rassismus, Angst und Hass eingewickelt zu werden. Es ist ja auch schwierig, Falschmeldungen von tatsächlichen Nachrichten zu unterscheiden und viele dieser Lügengebäude als das zu erkennen, was sie sind: Verschwörungsideologien.

Ja, Verschwörungskonstrukte sind oft absurd, aber sie funktionieren trotzdem

„Die Überzeugung, dass bestimmte Ereignisse oder Situationen von geheimen Mächten in negativer Absicht manipuliert werden“, so definiert die Europäische Kommission eine Verschwörungserzählung. Dies deckt sich auch mit der Erfahrung, die ich mit meiner Freundin gemacht habe, die die Bundesrepublik Deutschland nicht mehr als demokratisches Land und Zuhause betrachtet, sondern als Gegner, der im Geheimen die Fäden zieht. Verschwörungstheoretiker*innen glauben an eine große Intrige, die allein sie – im Gegensatz zur gewöhnlichen Durchschnittsbürger*in – durchschauen. So glaubt beispielsweise die QAnon-Bewegung, dass eine internationale Elite mit den Corona-Impfungen jedem Menschen einen Mikrochip implantieren will, um die Menschheit zu kontrollieren, und weltweit Kinder entführen lässt, um aus ihrem Blut einen Verjüngungssaft zu brauen.

Ja, das ist absurd. Aber so absurd sie auch erscheinen mögen, Verschwörungskonstrukte funktionieren trotzdem. Denn sie unterteilen die Menschheit in ein gutes „Wir“ und alle anderen, die böse sind. Vor allem bieten sie einfache Erklärung für komplexe Sachverhalte und Geschehnisse an. So wird zum Beispiel der amerikanischen Regierung unterstellt, Amokläufe mit Schauspielern zu inszenieren, um die Waffenrechte weiter einzuschränken. So muss man sich nicht beschäftigen mit der Ungeheuerlichkeit eines Amoklaufs und seinen konkreten Gründen.

Natürlich gibt es keine wissenschaftlich fundierten Beweise, die solche Erzählungen bestätigen. Meine ehemalige Freundin postete trotzdem fast täglich Berichte, in denen behauptet wurde, Masken seien schädlich oder die Impfstoffe enthielten giftige Substanzen oder auch die DNA von Affen. Zuerst war ich eingeschüchtert, jede Aussage war untermauert von Aussagen angeblicher Expert*innen. Auch ein Brief ihrer Eltern, in dem gefordert wurde, die Maskenpflicht an bayerischen Schulen aufzuheben, war eloquent formuliert und mit vielen vermeintlichen Beweisen und Hinweisen auf Quellen gespickt. Ich machte mir die Mühe, recherchierte und fand relativ schnell heraus, dass die Belege entweder von umstrittenen Wissenschaftler*innen stammen oder gleich völlig aus dem Kontext gerissen worden waren. Ich verstand nun auch besser, warum sich Verschwörungsmythen so schnell verbreiten können: Wissenschaftliche Prozesse und Zusammenhänge sind nicht einfach zu verstehen. Und wer etwas nicht versteht, hat Fragen, auf die Verschwörungstheorien eine simple Antwort geben. Was bitte schön ist eine rekombinante DNA-Technologie oder ein Adenovirus?

Der Verschwörungsmythos ist der sichere Anker in der Unsicherheit

Das macht es schwierig, mit Anhänger*innen von Verschwörungserzählungen zu diskutieren. Die meisten klammern sich an ihre Meinung, ihren sicheren Anker in der Unsicherheit. Sie sind zutiefst überzeugt, dass sie absolut richtig liegen und die anderen absolut falsch.

Oft wird die Corona-Pandemie dafür verantwortlich gemacht, dass Verschwörungsmythen um sich greifen. Die Zahlen stützen diese These nicht. Eine Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung von 2020 stellte Probanden die Frage: „Wie bewerten Sie die folgende Behauptung: Es gibt geheime Mächte, die die Welt steuern.“ Vor der Pandemie gaben elf Prozent an, dass sie fest an diese Aussage glaubten. Während Corona sank die Zahl auf acht Prozent. Auf der anderen Seite stieg die Zahl derer, die die Aussage als komplett falsch einstuften von 35 auf 44 Prozent.

Ängste und Sorgen während der Pandemie haben uns alle anfälliger gemacht

Aber die Pandemie hat dazu geführt, dass Menschen, die empfänglich sind für Verschwörungstheorien, umso mehr in sie abdriften. Corona ist für die gesamte Gesellschaft eine große Belastung, aber durch Schulschließungen und Distanzunterricht verbringen gerade Kinder und Jugendliche mehr Zeit vor ihren elektronischen Endgeräten, wo sie in Kontakt zu kruden und gefährlichen Ideologien kommen. Ängste und Sorgen, die wir alle während der Pandemie haben, machen uns anfälliger dafür, auf Verschwörungserzählungen hereinzufallen.

Wenn dadurch Freundschaften zerbrechen wie in meinem Fall, dann ist das besonders schlimm. Ich selbst machte mir nach dem Ende unserer Freundschaft große Vorwürfe. Hätte ich früher reagieren müssen? Hätte ich mehr auf sie zugehen sollen? Ich hatte das Gefühl, dass ich eine schlechte Freundin gewesen war. Ich erinnere mich, dass sie um ein Gespräch in einem Café gebeten hat, ich lehnte ab. Zu groß war die Angst, selbst verunsichert zu werden, und die Energie war aufgrund bereits geführter Diskussionen aufgebraucht. „Das bringt doch sowieso nichts mehr“, dachte ich mir damals. Heute bereue ich diese Einstellung. Solltet ihr bemerken, dass eine nahestehende Person merkwürdige Ansichten äußert, zögert nicht, sondern redet, diskutiert und streitet offen darüber. Holt euch gegebenenfalls Hilfe von Lehrer*innen, Mitschüler*innen und Eltern. Vor allem: Schweigt das Thema nicht tot, wie es in meiner Clique geschah, und lasst nicht zu, dass Freund*innen sich isolieren.

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