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Illustration: Doro Spiro

Wunden, die niemals verheilen

Das Mobbing dauerte nur ein paar Monate. Aber die Erinnerungen und die Ängste, die bleiben für immer.

Lea (15)

Triggerwarnung: In diesem Text geht es um traumatische Erfahrungen und die psychischen Folgen von Mobbing. Wenn du selbst solche Erfahrungen gemacht hast, könnte dich das Lesen des Textes retraumatisieren. Wenn du dich mit dem Thema nicht wohl fühlst, dann lies den Text lieber nicht oder nur mit jemandem zusammen, der dich unterstützen kann.
Noch ein Hinweis: Auch wenn die Autorin des Textes ihre Mobbingerfahrung selbstständig verarbeitet hat, ist es auf jeden Fall hilfreich, sich bei solchen Erlebnissen Hilfe zu suchen bei Eltern, Lehrkräften, Schulsozialarbeiter*innen oder Psycholog*innen.

Mobbing ist schlimm, da sind sich alle einig. Den Menschen, die davon betroffen sind, geht es furchtbar, ihnen muss geholfen werden. Und in manchen Fällen – in meinem Fall – wurde auch geholfen. Aber was war dann, zwei Monate später, als alles vorbei war? Als es doch nicht vorbei war.

„Was war, das war“, hat mal jemand zu mir gesagt. „Ja, das war schlimm, aber du musst das vergessen. Du musst dich wieder auf dein Leben konzentrieren. Lass die Vergangenheit ruhen.“ Ich konnte aber nur denken: Wie soll ich mich auf die Gegenwart konzentrieren, wenn sie so sehr von der Vergangenheit geprägt ist? Es gibt viel Mitleid mit Mobbingopfern, jedenfalls solange sie gemobbt werden. Doch wie es danach weitergeht, damit beschäftigen sich die wenigsten.

Es wird sich nie wieder so anfühlen, als wäre man nie gefallen

Man geht immer weiter, aber es wird sich nie wieder so anfühlen, als wäre man nie gefallen. Und das bin ich, vor sechs Jahren, und noch heute sehe ich es manchmal vor mir. Wenn ich eine x-beliebige Umkleidekabine betrete, dann ich erinnere mich an alles, was damals in dieser einen speziellen Umkleidekabine geschehen ist. Wenn ich einen Raum voller Musikinstrumente sehe, denn dann sehe ich wieder alles vor mir, was damals war, spüre wieder, wie es damals war. Ich kann mich nicht wohlfühlen in Gemeinschaftsräumen – sie sind keine Gemeinschaftsräume mehr für mich, sondern Trigger, Narben einer nie verheilten Wunde.

Nein, ich fange nicht an zu schwitzen, ich zittere nicht, ich bekomme keine Panikattacke. Aber dieses Gefühl, das ist da. Es setzt sich in der Magengrube fest und nagt an mir. Oft verbinde ich es gar nicht mit diesen Erfahrungen, denke nur, das ist eine Magenverstimmung. Jedenfalls solange, bis die Erinnerungen wieder hochkommen. Bis alles wieder hochkommt. Manchmal setzt dann mein Atem aus. Manchmal schlägt mein Herz schneller. Nichts Schlimmes. Nichts, was nicht bald wieder vergehen würde. Nichts, was andere bemerken.

Aber es ist da. Und es geht nicht weg. Der Phase des Gemobbtwerdens folgt die Phase nach dem Mobbing. Eine Phase, die nicht so heißen dürfte, denn sie hört nicht einfach auf. Denn die Erinnerung lässt dich nie wieder los, sie ist überall, jederzeit. Sie ist ein Teil von dir.

Wenn eine meiner Freund*innen vergisst, mich zu grüßen, dann spüre ich das körperlich

Nicht nur Orte können die Erinnerung wecken an diese Zeit des Mobbings, die in meinem Fall nicht einmal ein Jahr dauerte. Auch kleine Gesten können das. Oder wenn eine kleine Geste fehlt. Bevor ich gemobbt wurde, hatte ich Freund*innen. Nicht viele, aber genug. Sie hielten zu mir, als es anfing mit den Beleidigungen, mit dem Ausschließen. Aber wir waren sehr jung damals, acht bis zehn Jahre alt, und ich will nicht behaupten, ich hätte anders gehandelt, hätte ich in ihren Schuhen gesteckt. Aber ich war nicht in dieser Situation, ich war die Freundin, von der man sich abgewandt hat, die nicht mehr gegrüßt wurde, die allein auf dem Schulhof stand und abschätzig gemustert wurde.

Wenn heute eine meiner Freund*innen vergisst, mich zu grüßen, dann spüre ich das körperlich. Dann kommen die Erinnerungen hoch, dann muss ich mich fast übergeben. Dann kommen die Bauchkrämpfe, die innere Unruhe, dann kommt die Angst, ich selbst zu sein, wegen dem, was damals passiert ist, als ich so war, wie ich bin. Und zugleich kommt eine seltsame Leere, die mir zeigt, dass ich so einen Vorfall unbewusst sogar schon erwartet habe. Dass ich damit rechne, dass es wieder passieren kann. Denn ich bin ja immer noch ich, und ich habe immer das Gefühl, ich sei zumindest ein bisschen mitschuldig an dem, was passiert ist, weil ich so war, wie ich bin.

Dabei bin ich gar nicht mehr dieselbe. Früher war ich selbstbewusst, heute denke ich, ich habe nicht mehr das Recht, mich gut zu finden. Wenn ich so toll bin, wie hätte mir dann all das geschehen können? Warum hätten sich die Freund*innen abwenden sollen? Warum wäre ich dann allein geblieben? Ich musste ja schuld sein, zumindest ein bisschen. Und wenn heute eine Freundschaft kaputtgeht, dann suche ich die Schuld in erster Linie bei mir selbst und denke, dass sich diese Person bessere Gesellschaft gesucht hat.

Nicht die Narben an meinem Rücken schmerzen, sondern die Erinnerung

Ich rede mir oft ein, alles liege hinter mir in der Vergangenheit. Aber ich rede es mir eben nur ein. Die Vergangenheit bestimmt die Gegenwart, die Gegenwart bestimmt die Zukunft. Nicht die Narben an meinem Rücken schmerzen, sondern die Erinnerung daran, wie sie entstanden sind. Die Dinge, die ich die Menschen damals über mich habe sagen hören, haben sich in mir festgesetzt, und mit jedem Tag, jeder Woche, jedem Monat glaubt ein Teil von mir ein bisschen mehr daran, dass sie stimmen. Und dass ich dankbar sein muss, dass sich die Freund*innen, die ich heute habe, überhaupt mit mir abgeben.

Um diese Freundschaften aufrechtzuerhalten, um zu beweisen, dass ich es wert bin, nicht weggeworfen zu werden, würde ich alles Erdenkliche tun – und tue es schon. Ich sage Ja zu allem, ich mache mit, auch wenn ich keine Lust habe, ich bin dabei, auch wenn ich keine Zeit habe. Und dann beschleicht mich das Gefühl, ich darf nur dabei sein, weil die anderen Mitleid haben. Eigentlich störe ich bloß, ohne mich wäre die Stimmung viel besser. Also entscheide ich niemals, welche Musik gehört wird, auch wenn meine Lautsprecher benutzt werden. Ich tue so, als würde es mich nicht stören, wenn es sich die anderen in Straßenklamotten auf meinem Bett gemütlich machen. Ich wähle den schlechtesten oder härtesten Platz, damit mir später niemand nachsagen kann, ich sei egoistisch oder egozentrisch – ein Vorwurf, den ich oft gehört habe, als ich gemobbt wurde.

Als wenn das alles nicht reichen würde, habe ich auch weiterhin Kontakt zu den ehemaligen Täter*innen. Zum Glück löst der Anblick dieser Kinder, die jetzt Jugendliche sind, keine Erstickungsgefühle bei mir aus wie der Aufenthalt in einer Umkleidekabine, aber angenehm ist mir der Umgang trotzdem nicht. Es gibt Täter*innen von damals, die sich dafür zu schämen scheinen, was sie mir angetan haben, andere erinnern sich nicht einmal mehr und verhalten sich, als hätten wir eine nette, beinahe freundschaftliche Beziehung. Ich habe nie mit ihnen darüber gesprochen; wenn ich heute mit ihnen plaudern soll, verkrampfe ich innerlich.

Die Erinnerung, die wird auf ewig ein Teil von mir bleiben

Ich habe gelernt: Wie wir die Welt wahrnehmen, hängt von jedem Einzelnen ab. Ich als Opfer hatte einen ganz anderen Blickwinkel als die Täter*innen. Vielleicht dachten einige von denen damals, sie würden mich nur necken. Und sie wissen nicht, dass ich bis heute damit zu kämpfen habe, was sie damals getan haben.

Macht es das einfacher für mich, ihnen zu vergeben? Nein, aber ich will mein Leben nicht bitter verbringen, indem ich ihnen alles nachtrage. Tatsächlich hat sich die Wut über die Täter*innen, die mir damals so viel Leid zugefügt haben, lange gelegt. Aber die Erinnerung, die wird auf ewig ein Teil von mir bleiben. Ein Teil, den ich nicht loswerden wollte, selbst wenn ich könnte. Diese Erfahrung hat mich in vielerlei Hinsicht geprägt. Ich habe mir zwar keine psychologische Hilfe oder eine Beratungsstelle gesucht. Das ist mir als Möglichkeit oder Notwendigkeit so nie in den Sinn gekommen, da meine Eltern immer für mich da waren, mir zugehört und es mir ermöglicht haben, die Schule zu wechseln. Aber es ist in jedem Fall sehr wichtig, das Erlebte mit anderen zu teilen und zu verarbeiten. So können vielleicht keine Erinnerungen gelöscht, aber sehr wohl die mit ihnen verbundenen Gefühle vermindert werden.

Wenn ich heutzutage mit dem Thema konfrontiert werde, bin ich prinzipiell immer auf der Seite des Opfers, denn es gibt keinen Grund, jemanden zu mobben, niemals.

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