icon-arrowicon-backicon-closeicon-facebookicon-google-plusicon-googleplusicon-hamburger-mergedicon-hamburgericon-inicon-instagramicon-linkedinicon-mailicon-pinteresticon-rssicon-searchicon-shareicon-snapchaticon-twitterZeichenfläche 28icon-xingicon-youtube
(c) YNS Illustration

Jugendliche im Visier des IS

Warum schließen sich junge Menschen in Deutschland den Dschihadisten an, und welche Hilfe gibt es für Aussteiger? Wir haben bei der Münchner Aussteigerhilfe Violence Prevention Network nachgefragt

Deliah (16), Hakki (18), Jasmin (17) und Jonas (18) für Q-rage!

Jeder kennt die Schreckensbilder von den Taten des sogenannten Islamischen Staates (IS). Die Terroristen des IS halten die Welt in Atem. Durch Predigten, Werbekampagnen und Massenpropaganda werden Jugendliche und junge Erwachsene manipuliert. Der IS wirbt mit Gefühlen wie Ehre, Stärke, Gemeinschaft und Ruhm, die viele ansprechen. Die Beweggründe, sich dem Dschihad anzuschließen, erklärte Korhan Erdön, der eine Beratungsstelle des Violence Prevention Network in München leitet, im Gespräch mit der Q-rage!-Redaktion

Anfällig für den IS seien inzwischen Mädchen und Jungen fast aller Altersstufen, sagt Erdön. Doch eines hätten alle gemeinsam: Sie seien „durch das soziale Netz gefallen“, der Halt in Freundeskreis und Familie ist nicht mehr gegeben. Wenn die Jugendlichen an diesem Punkt sind, also am verletzlichsten, werden sie vom IS angesprochen. Die Mitglieder des IS kümmern sich um sie und geben ihnen Zuwendung. Dadurch fühlen sich die Jugendlichen geborgen und ernstgenommen. „Es sind vergleichbare Strukturen wie damals in der Hitlerjugend“, so Erdön. Der IS vermittle ein starkes Gemeinschafts- und Zugehörigkeitsgefühl.

Erdön betont: Diese Gruppen entstehen nicht nur in Kriegsgebieten, sondern auch in Deutschland, direkt vor unserer Haustür: „Sie treffen sich in privaten Wohnungen, um sich auszutauschen.“ Beteiligt zu sein heißt nicht zwangsläufig, nach Syrien oder in andere Kriegsgebiete zu ziehen.

Schritte der Radikalisierung

Die Radikalisierung ist grob in drei Schritte zu unterteilen: Zuerst werden die Betroffenen von ihren Freunden getrennt, um anschließend mit der Loslösung von ihren Eltern das soziale Umfeld vollständig zu verlieren. Häufig folgt dann ein Leistungsabfall in der Schule, womit oft Frustration und sogar Depression einhergehen. Im „besten Fall“ – aus Sicht des IS – sind die Jugendlichen dann allein und isoliert. Diesen Zustand nutzen die Mitglieder des IS aus. Sie nehmen  die Rolle eines Vormunds ein, mit dem Ziel, die Jugendlichen schließlich mit einem IS-Kämpfer zu „verkuppeln“.

Wenn man bei einem Angehörigen oder Bekannten solche Anzeichen einer Radikalisierung erkennt, kann man sich helfen und beraten lassen – über die Hotline des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Am Telefon kann eine erste Analyse der Anzeichen erfolgen, dann wird man an eine Beratungsstelle in der Nähe weitergeleitet. Einerseits gibt es die Gelegenheit einer Angehörigenberatung, „dann werden ‚Dos und Don’ts‘ vermittelt im Umgang mit den Betroffenen.“ Andererseits gibt es auch die direkte, engmaschige Betreuung von Radikalisierten, wobei sich Erdön mindestens einmal wöchentlich mit ihnen trifft.

In diesen Gesprächen möchte der Berater den Jugendlichen die „richtige Version des Islam“ näherbringen, um die Argumente des IS auszuhebeln. Gleichzeitig ist er auch „Buddy für die Jugendlichen“, um über Probleme und auch Alltägliches zu sprechen. Bei dieser Arbeit gibt es vier Schwerpunkte: Erreichbarkeit der Person, ihre Ansprache, der Aufbau einer Arbeitsbeziehung und die konkrete Deradikalisierungsarbeit.

Was kann man tun?

Für uns besonders interessant war die Beratung von Radikalisierten auch in Kriegsgebieten, meistens über Skype oder Telefon. Im Fokus steht dann die Unterstützung in schwierigen Lebenssituationen, denn der Ausstieg und die Flucht von den IS-Standorten werden immer schwieriger. „Viele Grenzen sind streng bewacht, es ist fast unmöglich durchzukommen.“

Die Politik könne nur wenige Maßnahmen ergreifen, um den Zulauf zum IS zu reduzieren, erklärt Erdön. „Weil die Radikalisierung hauptsächlich im Internet und im Freundeskreis stattfindet und nicht in Moscheen, wie man lange dachte.“ Zwar könnten Gruppen oder Profile im Netz gelöscht werden, doch das würde dem Zulauf keinen Abbruch tun, denn dann bildeten sich die organisierten Gruppen eben woanders. „Wichtig ist aber, dass die Islamfeindlichkeit in den Medien reduziert wird, denn das würde die Muslime auch weniger verdrossen machen.“

Erdön fordert die Politik dazu auf, mehr finanzielle Unterstützung zu leisten, damit mehr Sozialarbeiter eingesetzt werden können. Es müsse mehr Anlaufstellen für Jugendliche geben, damit eine Radikalisierung gestoppt werden kann oder gar nicht erst stattfindet.

 

Erstveröffentlichung: Q-rage! 2016/2017

,

Kommentar verfassen

Dein Kommentar wird von einem Moderator überprüft, bevor er auf der Website erscheint. Informationen zum Datenschutz