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Foto: picture alliance / Zoonar | DesignIt

Ich kann nicht mehr vertrauen

Du wirst gemobbt? Dann such dir doch Hilfe! Aber das ist einfacher gesagt als getan, wenn diejenigen, die einem helfen sollen, das Problem nicht ernst nehmen.

Mattheo (17)

„Du hast doch Freunde“, hat jemand gesagt. Jemand anderes: „Du bist aber glücklich, du lächelst doch immer so schön.“ Oder: „Lass dich nicht unterkriegen.“ Noch besser: „Such dir doch einfach Hilfe.“

Das hat mir nicht geholfen. Ich wurde trotzdem gemobbt.

Es begann in der dritten Klasse, vielleicht auch erst in der vierten, in einer Mittagspause. Auf dem Spielplatz unserer Schule gab es zwei Türme, die mit einer Brücke verbunden waren. Ich war auf der Brücke und dann kam ‑ nennen wir ihn ‑ Jan. Er brachte zwei Kumpels mit und zu dritt begannen sie, mich zu beschimpfen. Sie nannten mich „Hure“, machten mir Angst und schließlich versuchten sie, mich von der Brücke zu schubsen. Ich hatte Glück und konnte mich festhalten, sonst wäre ich drei Meter tief gefallen.

Noch in derselben Pause erzählte ich einer Lehrerin von dem Vorfall. Die meinte, ich solle dem Lehrer- und Schülerrat von „meinen Fall“ berichten. Der Lehrer- und Schülerrat aber fiel die nächsten beiden Wochen aus, dann begannen die Herbstferien. Als ich schließlich einen Monat später „meinen Fall“ vortrug, hat mir niemand geglaubt und Jan hat einfach alles abgestritten.

Erst Jahre später habe ich mich getraut, meinen Eltern von dem Mobbing zu erzählen

Einen Rat gab man mir noch mit auf den Weg: Wenn es wirklich so schlimm wäre, solle ich mich einfach von Jan distanzieren. Dummerweise war Jan in meiner Klasse, ich konnte mich also schlecht von ihm fernhalten. Nach diesem Tag habe ich meinen Lehrer*innen nichts mehr erzählt – weder in der Grundschule noch in der weiterführenden Schule, auch als das Mobbing dort weiterging.

Erst Jahre nach dem Vorfall auf dem Schulspielplatz habe ich mich getraut, meinen Eltern von dem Mobbing zu erzählen. Auch die haben mir nicht zugehört. „Stell dich doch nicht so an“, haben sie gesagt, „das war bestimmt nicht so gemeint, das war nur Spaß.“

Wenn einem niemand glaubt, das man gemobbt wird, ist es schwierig Unterstützung zu finden. Wenn die Lehrer*innen alle Zeichen ignorieren, die vermeintlichen Freunde mit den Mobbern abhängen und die Eltern einem nicht zuhören, hat man das Gefühl, man ist ganz allein.

Man weiß nicht, was man falsch gemacht haben soll. Man weiß nicht, was man ändern kann.

Stattdessen denkt man als Kind, wenn sich die Freunde abwenden, wenn plötzlich alle gemein zu einem sind, dann habe man selbst etwas falsch gemacht. Doch man weiß nicht, was man falsch gemacht haben soll. Man weiß nicht, was man ändern kann, damit es aufhört. Wer selbst gemobbt wird, weiß nicht, dass es für Mobbing keinen Grund oder Anlass gibt. Stattdessen glaubt man, man sei selbst schuld. Dass man sich nur ändern, einen Fehler abstellen müsse, dann würden die Mobber aufhören mit dem Mobbing. Aber keine Gewichtsabnahme oder Gewichtszunahme wird etwas ändern, keine anderen Klamotten, keine andere Sexualität und auch keine andere Hautfarbe. Die Mobber würden sich lediglich andere Eigenschaften und Anlässe suchen oder vielleicht auch ein neues Opfer.

Mittlerweile werde ich nicht mehr gemobbt. Das habe ich aber weder engagierten Lehrer*innen zu verdanken, die mir geholfen hätten, noch Mitschüler*innen oder Eltern, die mir beigestanden hätten. Das Mobbing hat aufgehört, weil ich einfach Glück hatte. Die Personen haben teilweise die Schule verlassen oder haben sich verändert – auch Jan. Seit der COVID-Pandemie mobbt er mich nicht mehr, mitunter verstehen wir uns sogar ganz gut. Heute habe ich keine Angst mehr vor Jan. Ich weiß aber auch nicht, wie ich mich ihm gegenüber verhalten soll.

Das Mobbing ist vorbei, aber ich schleppe es immer noch mit mir herum.

Denn auch wenn das Mobbing seit fast vier Jahren vorbei ist, schleppe ich es immer noch mit mir herum. An jedem Morgen, an dem ich in die Schule muss, bekomme ich Magenkrämpfe. Ich kann dann den ganzen Tag nichts essen, erst recht nicht in der Schule vor anderen Menschen. Eine Zeit lang habe ich meine Mittagspause in der Schultoilette verbracht, um ungestört etwas essen zu können. Seit dem Ende der Pandemie esse ich nur noch nach der Schule, also unter der Woche nie vor 15 Uhr, meistens noch später.

Eine andere Folge des Mobbing ist, dass ich anderen Menschen nicht widersprechen kann. Ich habe Angst, dass diese Person mich danach nicht mehr leiden könnte. Ich kann nicht diskutieren, mich nicht mit anderen auseinandersetzen, nicht streiten. Ich beginne schon zu weinen, wenn es beim UNO-Spielen eine Meinungsverschiedenheit gibt, welche Karte man legen darf. So habe ich den Großteil meiner Kindheit isoliert und alleine verbracht, ohne wirkliche Freund*innen zu haben. Bis heute kann ich anderen Menschen nicht vertrauen.

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