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Bild: picture alliance / Westend61 | Wolfgang Weinhäupl

In Syrien war es grausam, ich will nach Deutschland

Eine Familie auf dem Weg nach Europa. Die Wellen sind hoch, es ist kalt, das Boot wackelt: Unsere Autorin verarbeitet ihre eigenen Fluchterfahrungen in einer Kurzgeschichte.

Manal (20)

Mein Name ist Nuri, ich bin 12 Jahre alt. Mama, meine kleine Schwester und ich sind auf dem Weg nach Europa. Unser Leben in Syrien war grausam. Zuletzt ging ich dort in die 5. Klasse, aber wir mussten unser Haus verlassen, weil das Dorf bombardiert wurde von Soldaten aus dem Nachbarland. Nur Mama, meine Schwester und ich konnten aus dem Dorf flüchten. Papa haben wir auf dem Weg verloren, eine Bombe hat ihn getötet.

Auch meine Tante ist tot. Sie war eigentlich die Leiterin des Krankenhauses, sie sollte Menschen, die im Krieg verletzt wurden, heilen. Stattdessen musste sie selbst als Soldatin kämpfen, um uns zu beschützen. Ich vermisse sie sehr.

Ein halbes Jahr haben Mama, meine Schwester und ich in einem fremden Dorf verbracht, wo wir jeden Tag immer wieder Schüsse gehört haben. Meine kleine Schwester war eineinhalb Jahre alt und konnte schon langsam laufen. Wir hungerten, weil wir kein Geld hatten, um Essen zu kaufen. Manchmal hat uns auch eine Nachbarin etwas zu essen gegeben, wenn sie zu viel gekocht hatte. Meine kleine Schwester brauchte aber Essen, sie brauchte vor allem Milch. Weil wir nicht genug Milch hatten, hat meine Mama die Milch mit Wasser verdünnt, damit die Babyflasche voll wird.

Ich durfte nicht aus dem Haus, auf den Straßen waren nur Soldaten unterwegs, vor denen wir uns verstecken mussten. Auch Mama hat sich nicht getraut, aus dem Haus zu gehen. Ich habe einmal gehört, wie Mama und unsere Nachbarin darüber redeten, dass die Männer mit den langen Bärten alle Frauen entführen. Und dass sie mit den Frauen nichts Schönes machen. Weil ich so große Angst um Mama hatte, habe ich oft so getan, als hätte ich Bauchschmerzen, damit sie nicht aus dem Haus geht.

Ich bin sehr enttäuscht von den Menschen. Kaum jemand gab uns etwas zu essen. Niemand hat uns wirklich geholfen. Niemand hat uns eine Unterkunft besorgt, während wir uns in einem kalten Keller verstecken mussten. Es war ein sehr kalter Winter. Wir hatten nur eine Decke, die ich mir mit meiner kleinen Schwester teilen musste. Meine Schwester wurde immer wieder krank, sie bekam Fieber. Sie tat mir sehr leid, ich konnte aber nichts machen. Wir haben uns wie Gefangene gefühlt.

Ich hatte Sehnsucht nach Frieden, nach meinen alten Freunden, nach meinen Großeltern, nach unserem Zuhause und vor allem nach meinem Papa. Wäre Papa nur dagewesen.

Jetzt aber wird alles anders, jetzt wird alles gut. Wir haben einen Weg gefunden, auf dem wir nach Europa flüchten können. Der Weg ist illegal und gefährlich, aber ich war noch nie so glücklich. Endlich werde ich meinen Traum erfüllen und Pilot werden können. Aber natürlich will ich kein Pilot werden, der Kriegsflugzeuge fliegt.

Seit Tagen sind Mama, meine kleine Schwester und ich nun schon auf dem Weg nach Europa. Wir sind unterwegs mit vielen Männern, die wir nicht kennen. Ich habe Mama versprochen, dass ich sie auf dem Weg beschützen werde und keiner ihr was an tun kann. Tage haben wir gebraucht, bis wir zu Fuß in der Türkei angekommen waren. Dann haben wir unser letztes Geld einem Mann gegeben, der uns nach Europa bringen soll. Heute Abend fahren wir mit einem Boot zu einer griechischen Insel, um von dort aus weiter nach Deutschland zu kommen.

Ich will unbedingt nach Deutschland. Dort leben meine Cousinen und Cousins, und sie haben mir erzählt, dass sie in Deutschland ganz normal in die Schule gehen können. Es gibt dort keinen Krieg. Sie können einfach immer raus ins Freie, wann sie wollen, und auf den Straßen sind keine Soldaten, die auf jeden schießen.

Ich kann es kaum abwarten. Wenn wir in Deutschland ankommen, werde ich jeden Tag rausgehen. Ich werde bestimmt neue Freunde finden und in die Schule gehen. Auch wenn wir gerade auf der Flucht sind, bin ich glücklich. Wir haben den Krieg, die Angst und die Sorgen überwunden.

Bevor wir auf das Boot gehen, dürfen wir nicht viel essen. Vor allem meine kleine Schwester soll wenig essen, damit sie sich nicht übergeben muss. Mehrere Männer sind schon hier und warten auf das Boot. Ein Mann ist mir aufgefallen, er hat nur ein Bein und läuft mit Krücken. Er heißt Ahmed und ist sehr lieb und hat mir vorhin erzählt, dass er unbedingt nach Europa möchte, weil er in Syrien mit einem Bein nicht arbeiten konnte und von niemandem unterstützt wurde. Seine Eltern wurden vor seinen Augen erschossen. Es muss für ihn ganz schlimm gewesen sein.

Jetzt geht es los, wir sind auf dem Boot. Wir sind 50 Personen auf dem Boot, vielleicht sogar 60. Meine kleine Schwester ist in Mamas Armen eingeschlafen. Ich bin auch sehr müde, aber ich darf nicht einschlafen, sonst kann ich Mama und meine kleine Schwester nicht beschützen. Ich habe ein bisschen Angst, aber Mama hält meine Hand ganz fest. Ich merke, wie sie selbst vor Angst zittert. Die Wellen sind hoch, es ist kalt. Unser Boot wackelt, die Wellen werden höher. Mama, warum fangen die anderen an zu schreien? Mama, warum weinst du? Keine Angst, wir sind gleich da. Mama, meine Beine werden nass …

Aus den Nachrichten: Griechenland. Im Mittelmeer sind weitere Geflüchtete gestorben. Ein Boot, auf dem sich mehr als 50 Menschen befanden, kenterte zwischen der Türkei und Griechenland. Nur sieben Menschen konnten gerettet werden, ihnen gelang es, eine griechische Insel schwimmend zu erreichen, darunter der 21-jährige Ahmed. Er berichtet, dass sich unter den Menschen auf dem Boot auch eine Mutter namens Zaynab mit ihren beiden Kindern Nuri (12) und Layla (1) befand. Dass sie das Unglück überlebt haben, ist unwahrscheinlich.

Lesermeinungen

  1. Deniz
    02.05.2023

    Beim Lesen wurde mir übel, wie grausam die Welt eigentlich sein kann. Ich hoffe, dass die kleine Familie es geschafft hat, sicher nach Deutschland zu reisen, um eine sichere Zukunft aufzubauen. Euch alles Liebe

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