icon-arrowicon-backicon-closeicon-facebookicon-google-plusicon-googleplusicon-hamburger-mergedicon-hamburgericon-inicon-instagramicon-linkedinicon-mailicon-pinteresticon-rssicon-searchicon-shareicon-snapchaticon-twitterZeichenfläche 28icon-xingicon-youtube
Foto: SOR-SMC

Let’s Talk About Sex

Die Schulen tun sich schwer mit dem Sexualkundeunterricht, dabei ist ein diverser, umfassender und zeitgemäßer Umgang mit dem Thema überfällig.

Penelope (18)

Als ich in der fünften Klasse zum ersten Mal Biologie hatte, stand auch Sexualkunde auf dem Lehrplan, wahrscheinlich angesichts der bevorstehenden Pubertät. Doch mein Biologielehrer fand, meine Klasse sei noch nicht reif genug für dieses Thema – und wendete sich stattdessen lieber dem Thema „Gebisse“ zu. Verständlich, denn meine Klassenkameraden brachen schon in hysterisches Gelächter aus, wenn im Deutschunterricht ein Märchenfilm gezeigt wurde und die Figuren sich küssten. So wäre ich, was Sex und die hormonellen Veränderungen während der Pubertät angeht, ahnungslos geblieben, wenn ich nicht in der Bibliothek auf das Buch „Was Mädchen wissen müssen“ gestoßen wäre. Alle weiteren Fragen konnte mir meine Mutter, die als Ärztin keine Scham davor hat, über menschliche Körperfunktionen zu reden, beantworten.

Aber eine Frage blieb unbeantwortet: Sind meine Erfahrungen ein Einzelfall oder etwa die Norm?

Es gibt Mitschüler*innen, die Glück hatten und im Unterricht über Sex und Pubertät aufgeklärt wurden. In der Mittelstufe waren auch sexuell übertragbare Krankheiten ein Thema. Aber schon, wenn ich herumgefragt habe, ob homosexueller Geschlechtsverkehr jemals im Unterricht thematisiert wurde, war die einstimmige Antwort ein enttäuschtes Nein. Als ich eine bisexuelle Freundin fragte, ob sie wüsste, wie zwei Frauen beim Geschlechtsverkehr die Übertragung von Krankheiten verhindern könnten, behauptete sie, dass es keine Methoden dafür gäbe.

Der Sexualkundeunterricht hinkt der gesellschaftlichen Entwicklung hinterher

Es sieht also so aus: In einem Land, in dem es jedem Menschen freigestellt ist, jedes Geschlecht zu lieben, hinkt der Sexualkundeunterricht an den Schulen der gesellschaftlichen Entwicklung hinterher. Wenn es nicht nur um heterosexuelle Beziehungen geht, sind die Tabus sogar noch größer. Dabei fragen sich Jugendliche natürlich: Kann man romantische Gefühle auch für das eigene Geschlecht empfinden? Welche Möglichkeiten der Verhütung für Paare mit denselben Geschlechtsorganen gibt es? Warum tauchen Begriffe wie queer, nicht-binär oder trans nicht in unserem Klassenzimmer auf?

Wir haben längst ganz andere Fragen als jene, die die verklemmte Aufklärung in der Schule aufgreift. Es ist höchste Zeit, dass sich der Sexualkundeunterricht in Schulen ändert, denn Jugendliche werden Sex haben, egal, ob sie richtig informiert sind oder nicht. Und junge Menschen sind LGBTIQ+, auch wenn die Abkürzung im Sexualkundeunterricht vermieden wird.

Aber warum weigern sich Lehrer*innen wie mein ehemaliger Biologielehrer allzu oft über Geschlechtsverkehr und Sexualität zu sprechen? Sicherlich sind manche Lehrkräfte noch in einer Zeit aufgewachsen, in der Sex ein noch größeres Tabu als heute war. Viele fürchten womöglich, religiöse oder politische Überzeugungen ihrer Schüler*innen zu verletzen. Und manche scheinen Sexualkunde schlicht für verzichtbar zu halten. Das Problem ist weit verbreitet, obwohl nicht nur die Lehrpläne in Berlin und Brandenburg vorgeben, dass die Diversität der Lebensweisen, der sexuellen Orientierungen und des Geschlechts sogar fächerübergreifend gelehrt werden sollen.

Schüler*innen sind oft gezwungen, sich im Internet und den soziale Medien zu informieren

Deshalb sind Schüler*innen mit anderen sexuellen Orientierungen oder Geschlechtsidentitäten gezwungen, sich alternative Informationsquellen im Internet und den soziale Medien zu suchen. Aber das Internet birgt Gefahren: Die Pornografie, die dort weit verbreitet und leicht zugänglich ist, ist eine toxische Industrie, die sexuelle Stereotype verbreitet. Deshalb sind Filme, Bücher und andere Medien, in denen Lebensformen dargestellt werden, die nicht cis-gender oder heterosexuell sind,womöglich eine bessere Alternative. Auch Organisationen wie „The Trevor Project“, das gegen Suizide von LGBTQ+-Jugendlichen kämpft, bieten Unterstützung. Und auch analog kann man sich zu LGBTQ+-Themen austauschen, ob im Freundeskreis oder im wöchentlichen Courage-Podcast meiner Schule, in dem die verschiedenen Formen von Diskriminierung diskutiert werden.

Trotz dieser Möglichkeiten hat ein zeitgemäßer Sexualkundeunterricht seine Berechtigung. Wie funktioniert der Schutz gegen sexuell übertragbare Krankheiten bei lesbischem und schwulem Sex? Kann mit einem sogenannten „Dental Dam“ der direkte Kontakt mit der Vagina der Partnerin und somit die Krankheitsübertragung vermieden werden? Ist es sinnvoll, die Hände vor und nach dem Sex zu waschen? Kann man mit Latexhandschuhen noch Gleitmittel benutzen? Müssen Sexspielzeuge gereinigt werden, weil sonst Hefepilzinfektionen drohen? Dies sind nur einige der Fragen, die heute im Sexualkundeunterricht in der Schule nicht beantwortet werden.

Als mein Biologielehrer in der fünften Klasse die Sexualkunde aus dem Unterricht verbannte, förderte er die Ignoranz meiner Klassenkameraden. Sex wurde noch mehr zum Tabu. Ich frage mich, ob sich meine ehemaligen Klassenkameraden heute mit Verhütung auskennen. Ob sie über ihre Sexualität sprechen können. Und ob sie damals so unreif gewesen wären, wenn man ihnen erklärt hätte, dass Liebe vollkommen menschlich ist.

Das Thema Sex – gerade diverser Sex – muss vertieft werden

Es wäre nicht zu spät, das Curriculum zu Sexualkunde zu erweitern oder wenigstens die vorhandenen Lehrpläne konsequent umzusetzen – auch in der Oberstufe, die das Thema theoretisch schon abgeschlossen hat. Wir haben doch auch bei Mathe, Deutsch und zahlreichen anderen Fächern ein Spiralcurriculum, sodass sich das Wissen tiefer verankern kann. Warum nicht auch bei Sexualkunde? Auch außerhalb des Biologieunterrichts kann Sexualität in Fächern wie Politik, Sozialkunde oder Wirtschaft angesprochen werden. Sollte das Thema Sex – ausdrücklich auch diverser Sex – nicht gerade in dem Alter vertieft werden, in dem junge Menschen sexuell aktiv werden?

Dann könnte es eines Tages vielleicht tatsächlich dazu kommen, dass junge Menschen Wörter wie „Orgasmus“ oder „Penis“ verwenden können, ohne gleich kichern zu müssen. Würde homosexueller Geschlechtsverkehr im Sexualkundeunterricht als etwas Normales dargestellt, würden Jungs vielleicht „schwul“ nicht länger als Beleidigung verwenden. Und nicht zuletzt könnte ein zeitgemäßer Sexualkundeunterricht dazu beitragen, dass ungewollte Schwangerschaften und sexuell übertragbare Krankheiten eines Tages der Vergangenheit angehören. Und über Gebisse reden wir dann auch noch.

, , ,

Diesen Text könnt Ihr – neben vielen anderen zu ebenso spannenden Themen – auch lesen in der Print-Ausgabe der q.rage 21/22, des Schüler*innen-Magazins von Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage. Bestellen oder kostenfrei herunterladen könnt Ihr diese und ältere Ausgaben der q.rage hier.

Kommentar verfassen

Dein Kommentar wird von einem Moderator überprüft, bevor er auf der Website erscheint. Informationen zum Datenschutz