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Foto: picture alliance / SZ Photo | Florian Peljak

Wer hat Angst im dunklen Park?

Ein Mädchen oder eine Frau zu sein, das heißt meistens auch, mit Angst leben zu müssen. Eine Kurzgeschichte über eine alltägliche und viel zu selbstverständliche Ungerechtigkeit

Carlotta (17)

„Bitte pass auf dich auf, Lydia. Und komm später nicht alleine zurück. Es ist jetzt schon dunkel genug.“

„Ja, ich weiß.“

„Denk daran, der Park ist gefährlich.“

„Ja, ich weiß, das hast du schon tausendmal gesagt.“

„Ich meine es ernst. Du gehst nicht durch den Park, sondern außen herum – und du bleibst auf den belebten Straßen.“

„Natürlich Mama, mach dir keine Sorgen. Ich bin schließlich nicht zum ersten Mal im Dunkeln draußen. Wir sehen uns später.“

Die Luft ist kalt, als ich das Haus verlasse. Am liebsten würde ich im warmen Haus bleiben. Gleichzeitig hat die Luft etwas Magisches, sie ist so klar.

Ich schüttle meinen Kopf. Als ob ich die Zeit hätte, über so etwas nachzudenken. Melina erwartet mich und ich bin jetzt schon so spät dran, dass ich es kaum rechtzeitig schaffen werde. Also laufe ich los. Das Licht der Straßenlaternen beleuchtet den Weg vor mir. Ich kann mich einfach nicht daran gewöhnen, wie früh es abends dunkel wird, und gehe nun doch ein wenig schneller.

Vor dem Park halte ich kurz inne. Natürlich, der Weg dort hindurch wäre um einiges kürzer, ich müsste zehn Minuten weniger laufen. Doch dann sehe ich in die Dunkelheit um mich herum, und alles in mir sträubt sich. Vielleicht sind es die Worte meiner Mutter. Oder all die Erzählungen, all die Warnungen, die ich im Laufe meines Lebens gehört habe. „Meide dunkle Orte, vor allem Parks.“ „Bleibe immer dort, wo auch andere Menschen sind.“ „Denk immer daran: Licht, Lärm und Leute“.

Ich bin allein, niemand bei mir. Bilde ich mir das ein oder ist es noch dunkler als sonst? Leise klingen meine Schritte auf dem Asphalt. Die Straßenlaternen sind alt. Ihr gelbliches Licht ist schwach, zu schwach, um die Dunkelheit vertreiben zu können. Ich atme einmal tief durch. Wovor sollte ich denn Angst haben? Es wird nichts passieren. Ich versuche den vernünftigen Teil in mir zu finden. Aber ich spüre gerade nichts als Kälte. Eine unendliche Kälte, die dazu führt, dass meine Gedanken immer unruhiger werden.

Ich zucke zusammen, als ich Schritte hinter mir höre. Aber ich traue mich nicht, mich umzudrehen. Eine innere Stimme sagt mir, dass es doch gar keinen Grund gibt, Angst zu haben. Aber ich höre nicht auf diese Stimme. Angst und Panik, mehr kann ich nicht wahrnehmen. Ich gehe schneller, am liebsten würde ich rennen, aber ich will auch keine Aufmerksamkeit auf mich ziehen. Ein Schritt nach dem anderen. Die Dunkelheit soll endlich verschwinden.

Schließlich wird das Licht der Straßenlaternen heller, ich höre Autos auf der Straße. Dort sind Menschen, dort ist Licht. Ich kann nicht sagen, wie glücklich ich bin, als ich sie endlich erreiche. Nur noch ein paar Schritte. Ich bin nur wenige Meter weitergegangen, aber hier fühle ich mich viel sicherer. Hier ist Licht, hier sind Menschen, hier ist Leben. Die Angst wirkt nach, mir ist immer noch kalt. Aber ich habe das Gefühl, einer Gefahr entgangen zu sein, bin einfach nur erleichtert. Und es wird nicht mehr lange dauern, dann habe ich die Kälte und die Dunkelheit wieder vergessen. Ich sehne mich nach Wärme, nach Ruhe, nach der Sicherheit eines Gebäudes. Nie hätte ich gedacht, dass mich diese Dunkelheit auf diesem kurzen Weg so aus der Fassung bringen könnte. Nicht außerhalb des Parks. Denn auch wenn mir bewusst ist, dass sich Gefahren nicht auf dieses Areal begrenzen, ich habe sie doch immer nur dort gesehen. Ich atme tief durch, die kalte Luft sticht in meinem Hals, mein Atem geht immer noch schnell.

Ich setze mich wieder in Bewegung, laufe weiter, tu so, als wäre nichts passiert, als wäre alles ganz normal. Ich sehe mich um, betrachte all die Gestalten um mich herum. Fast kann ich über mich selbst lachen, es ist noch nicht einmal richtig spät. Wie konnte ich nur solche Angst haben?

„Wir sehen uns morgen?“

Eine kurze Umarmung, dann drehe ich mich Richtung Tür. Es ist spät, richtige Nacht mittlerweile. Noch dunkler, noch kälter. Ich möchte nicht hinaus. Am liebsten würde ich hier bleiben, in Wärme, in Sicherheit.

„Kommst du alleine nach Hause?“

Ich drehe mich überrascht zu Melina um.

„Wie meinst du das?“

„Na ja, es ist schon spät und dunkel. Ich würde jetzt nicht mehr hinauswollen.“

Hat sie meine Gedanken gelesen? Habe ich gezögert? Hat sie etwas bemerkt? Ich habe mit ihr doch gar nicht über meine Angst auf dem Herweg geredet. Sie würde es sicher für lächerlich halten, ich lache ja selbst über mich.

„Habe ich eine andere Wahl? Irgendwie muss ich ja nach Hause kommen.“

„Meine Mutter schickt immer meinen Bruder mit, wenn ich so spät noch rausgehe. Soll er dich begleiten?“

Kurz bin ich irritiert. Nico ist zwei Jahre jünger, und der soll auf mich aufpassen? Bestimmt würde ihm das nicht gefallen, er hat sicher besseres zu tun. Und ich komme auch allein zurecht, ich brauche ihn nicht. Doch dann denke ich daran, wie ich alleine durch die kalten Straßen gehe, um den dunklen Park herum, und mein Herz schlägt sofort schneller.

„Wäre das für ihn denn in Ordnung? Kommt er denn dann wieder gut nach Hause?“

„Ich frage ihn kurz. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass er ein Problem damit hat.“

Ich verlasse hinter Nico das Haus. Schweigend laufen wir die Straße entlang. Hier ist es noch hell, es wäre nicht schlimm, alleine zu sein, aber ich bin froh, dass er hier ist.

„Wieso soll ich dich eigentlich begleiten? Nicht, dass es mich stört, aber wieso kannst du nicht alleine nach Hause gehen? Du hast Angst, oder?“

„Ich bin im Dunkeln nicht gerne draußen, nicht allein.“

„Bei meiner Schwester ist es das Gleiche, immer muss ich mit ihr gehen. Aber wenn ich nachts allein ausgehe, ist das nie ein Problem.“

Nicos Stimme klingt ein wenig trotzig. Ich weiß nicht, was ich sagen soll.

„Ich soll im Dunkeln auch nicht immer draußen sein“, sagt Nico in das Schweigen hinein. „Mir macht die Dunkelheit auch Angst, manchmal zumindest. Auch für mich kann es gefährlich werden.“

„Ich weiß. Du hast ja recht. Aber ich glaube, die Angst ist unterschiedlich. Ich würde gern allein rausgehen, aber ich traue mich nicht. Vielleicht liegt es daran, dass ich, seit ich klein war, immer gewarnt worden bin. Dass mir immer erklärt wurde, was alles passieren kann. Meine Mutter redet immer wieder darüber.“

Nico sagt nichts, er blickt starr nach vorn.

„Es ist eine Angst, die ich von klein auf eingetrichtert bekommen habe. Deine Schwester vermutlich auch. Vielleicht alle Mädchen. Und so traurig es auch ist, ich denke, diese Angst ist berechtigt.“

Wir schweigen ein paar hundert Meter lang.

„Du verlässt nie so spät ohne Begleitung das Haus?“, fragt Nico plötzlich.

Ich schüttle den Kopf.

„Das ist traurig. Darüber habe ich noch nie nachgedacht, dass es einen Unterschied gibt und dass er so groß sein könnte. Auch zwischen Melina und mir. Ich dachte immer, wir wären ziemlich gleich aufgewachsen.“

„Hast du dich nie gefragt, wieso eure Mutter dich bittet, sie zu begleiten, aber nicht andersherum? Sie ist schließlich die Ältere.“

„Nicht wirklich. Das war halt so. Glaubst du, dass sich unsere Mutter um sie mehr Sorgen macht?“

„Vermutlich tut sie das.“

Wir haben den Parkeingang erreicht. Nico tritt sofort auf den Weg, der in den Park führt, mitten hinein auf die kaum beleuchten Wege. Er will in die Dunkelheit gehen, ins dämmrige Licht zwischen den Bäumen, wo überall jemand lauern könnte.

„Lass uns nicht durch den Park gehen.“

„Wieso?“

Ich antworte nicht. Wie soll ich ihm erklären, dass ich bei jedem Geräusch zusammenzucke, ohne wirklich selbst zu wissen warum.

„Tut mir leid. Natürlich können wir den anderen Weg gehen.“

Ich nicke, wir gehen weiter, nicht durch den Park. Ich blicke hinauf zum klaren Himmel, Sterne sind zu sehen. Ich beginne, die Nacht zu genießen, spüre ihren Frieden, ihre Ruhe. Die Angst hat mich verlassen. Nur weil eine andere Person neben mir läuft, ist der ganze Weg ein anderer geworden. Es ist schön hier. Aber ich bin froh, dass wir nicht durch den Park gehen.

„Das ist unfair“, sagt Nico in das Schweigen hinein, in dem wir gegangen sind. „Es ist ungerecht, dass ihr Angst haben müsst.“

„Ja“, sage ich, „die Welt ist ungerecht.“

Und ich versuche mir eine Welt vorzustellen, in der Frauen, wenn sie nachts unterwegs sind, niemanden anrufen oder so tun müssen, als würden sie telefonieren, damit sie sich sicherer fühlen. In der Frauen nicht schneller gehen, wenn sie etwas hinter sich hören. Eine Welt, in der ich mitten durch diesen Park gehen könnte, ohne Angst zu haben. In der ich nachts spazieren gehen könnte, ohne dass es die Gefahr gibt, dass mir etwas zustößt. Ich denke an eine Welt, in der ich wie Nico sein, wie er leben könnte. In der es keine Rolle spielt, ob ich ein Mädchen oder ein Junge bin. Das wäre eine schöne Welt, denke ich.

„Da bist du ja endlich, ich habe mir schon Sorgen gemacht.“

Genervt blicke ich meine Mutter an. Auch wenn ich weiß, dass sie sich wirklich Sorgen gemacht hat.

„Nico hat mich nach Hause gebracht.“
„Das ist gut. Du weißt ja, du sollst um diese Uhrzeit nicht alleine draußen sein.“

„Ich weiß“, sage ich.

Ich seufze. Meine Mutter jedenfalls wird sich nie ändern.

 

Auch Jungs und Männer können etwas tun, dass sich Mädchen und Frauen sicherer fühlen.
Hier sind ein paar Tipps:

Wer auf einer dunklen, unbelebten Straße hinter einem Mädchen oder einer Frau läuft, sollte die Straßenseite wechseln – und dann überholen. Wenn das nicht möglich ist: Einfach kurz stehen bleiben und einen größeren Abstand lassen.

Jungs und Männer können durch defensives Verhalten in öffentlichen Verkehrsmitteln weiblichen Personen viele Ängste nehmen: Wenn eine Mädchen oder eine Frau allein auf Bus oder U-Bahn wartet oder allein in einem Verkehrsmittel unterwegs ist, sollte man auf einen respektvollen Abstand achten. Setzt euch bitte nicht unmittelbar zu ihr und starrt sie nicht an. Übrigens: Unverhohlenes Starren gehört zu einer Form sexueller Belästigung. Wenn du in einer Gruppe unterwegs bist und ein Mädchen oder eine Frau vorbeigeht, pfeif ihr nicht hinterher (auch das ist sexuelle Belästigung), werde nicht laut, mach ihr Platz und behalte Abstand.

Wer mitbekommt, wie ein Mädchen oder eine Frau belästigt wird, sollte nicht wegsehen. Kommt dir etwas komisch vor, frag einfach kurz nach: „Alles okay bei Ihnen?“ Signalisiere Solidarität mit der betroffenen Person. Aber spiel nicht den Helden, halte Abstand zur zudringlichen Person und wende dich notfalls an Schaffner*innen, Fahrer*innen oder Sicherheitspersonal.

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